Braunkohletagebau in der Oberlausitz: Die Spinner
1.500 Menschen wären von Nochten II betroffen. „Wir wollen nicht weggebaggert werden“, sagen die Gegner. Die Mehrheit schweigt.
NEUSTADT / ROHNE taz | In einer perfekten Welt hätte das junge Paar alles richtig gemacht. Mitten im Grünen leben Friederike Böttcher und Adrian Rinnert ihren Traum. Stein für Stein, Schaufel für Schaufel verwandeln sie die Ruinen einer Spinnerei in ein Heim für sich und ihre Freunde.
Ein 3.000 Quadratmeter großer Traum vom ökologischen Leben, mit recycelter Schnuckenwolle und Außenklo. Aber die beiden Endzwanziger leben nicht in einer perfekten Welt, sondern in Neustadt/ Spree. Und das ist das Problem.
Hinter den alten Fenstern regnet es. Im Kachelofen knackt Feuerholz, nur mühsam verdrängt Wärme die Kälte aus dem Zimmer. Doch Adrian Rinnert genügen Wollsocken. Seit dreieinhalb Jahren lebt der 28-Jährige auf dem Gelände einer alten Holzwollspinnerei. „Das Land war Befreiung“, sagt er.
Der hochgewachsene Mann ist in Berlin-Neukölln aufgewachsen. Rinnert berichtet von Gewalt an seiner alten Schule, von der aggressiven Stimmung auf der Straße. Das Studium der Tiermedizin brach er ab, er wollte weg. Mit seiner Lebenspartnerin Friederike Böttcher und einem befreundeten Paar kaufte er das verfallene Gelände für 12.500 Euro. Nach und nach zogen sie her, nannten ihre neue Heimat doppeldeutig „eine Spinnerei“. Es sollte ein Neuanfang sein. Dann kamen die Explosionen.
Explodierende Briefkästen
Dreimal jagten Unbekannte im vergangenen Jahr den Briefkasten der Spinnerei in die Luft. Schwarzpulver, selbst vom Pfosten blieb wenig übrig. Beim dritten Mal, Ende November, zerstörten Unbekannte in derselben Nacht ein großes Protestplakat ein paar Kilometer weiter. Damit hatte die Bürgerinitiative „Strukturwandel jetzt“ gegen die Bewilligung eines weiteren Braunkohletagebaus namens Nochten II protestiert. Rinnert und Böttcher sind die Sprecher der Initiative. Jetzt ermittelt der Staatsschutz.
Friederike Böttcher kommt ins kühle Zimmer. Unter dem Wollpulli wölbt sich ihr Bauch. Die gelernte Lehrerin ist hochschwanger. „Seit der letzten Explosion ist ständig einer von uns auf dem Gelände“, sagt sie. Ihr Traum vom ökologischen Leben auf dem Land ist in Gefahr. Rinnert sagt: „Wir fragten uns: Wie weit würden die gehen?“
Wer „die“ sind, daran gibt es für ihn keinen Zweifel: die lokalen Bürgermeister, Behörden und Medien. Prüfer des Landratsamts untersagten im Sommer 2013 Veranstaltungen auf dem Spinnerei-Gelände – wegen Sicherheitsmängeln. Zudem sollen die neuen Besitzer beim Einzug nicht alle Genehmigungen eingeholt haben, seither werden sie hier nur geduldet.
18 Millionen Tonnen Kohle
Hier in der Oberlausitz wird seit fast hundert Jahren Braunkohle abgebaut. Ganze Dörfer mussten den Tagebauen weichen. Nochten I liefert seit Ende der 60er Jahre Braunkohle für das nahe gelegene Kraftwerk Boxberg. Rund 18 Millionen Tonnen Kohle werden hier jedes Jahr gefördert. Nicht genug, um das Kraftwerk mindestens noch bis 2050 mit Rohbraunkohle zu versorgen.
Der schwedische Energiekonzern Vattenfall hat beim Potsdamer Professor Georg Erdmann ein Gutachten bestellt, das den beabsichtigten Weiterfraß des Tagebaus nach Norden rechtfertigen soll. Ja, sagt Erdmann, Kohle bleibe Hauptenergiestütze und Nochten II unverzichtbar, wenn der jetzige Tagebau 2027 ausgeschöpft sei. Studien des DIW und von Professor Martin Maslaton an der Bergakademie Freiberg kommen hingegen zu dem Schluss, dass der Bau neuer Kohlekraftwerke und Aufschluss weiterer Tagebaue nicht lohne.
Im vergangenen Oktober entschied sich der Regionale Planungsverband dennoch für die Ausweitung des Nochtener Tagebaus. Kohleideologen aus DDR-Zeiten hätten dort das Sagen, meinen Adrian Rinnert und Friederike Böttcher. Die beiden starteten eine Onlinepetition gegen Nochten II, mehr als 3.000 Bürger unterschrieben. Mit ihr muss sich das sächsische Innenministerium befassen. Dort steht der Braunkohleplan nun zur endgültigen Genehmigung an. Bis Ende März fällt die Entscheidung, an einem Ja zur Abbaggerung zweifelt kaum jemand. Die Umsiedlung von 1.500 weiteren Bewohnern wäre damit besiegelt.
Urteil vom Bundesverfassungsgericht
Für die „Spinner“ von Neustadt wäre der Widerstand auch dann nicht aussichtslos. Ebenso wie die Grünen und die Linken im Landtag setzen sie auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Braunkohletagebau Garzweiler. Im vergangenen Dezember stärkten die Richter die Rechte derer, die von einer Enteignung oder Umsiedlung betroffen sind. Böttcher und Rinnert wollen klagen.
Für die Aktivisten hat der Bürgermeister der Gemeinde Spreetal, zu der Neustadt gehört, nur Spott übrig. „Ich war auch mal jung und ein bisschen verrückt“, äußerte Manfred Heine in einem Interview. „Aber spätestens wenn man Kinder hat, muss man auch den Verstand aktivieren.“
Andere sehen in den Spinnerei-Bewohnern clevere, langfristig denkende Köpfe, die im Auftrag von Umweltverbänden gekommen sind. Rinnert schüttelt den Kopf. „Wir sind nicht hergezogen wegen des Bergbaus, und wir kriegen keinen Pfennig von Greenpeace. Aber das können diese Leute nicht glauben.“ Was sagt es über eine Region aus, wenn sich ihre Bewohner nicht vorstellen können, dass jemand freiwillig dorthin zieht?
In der Oberlausitz zeigt sich der Irrwitz der Energiewende. Einerseits soll der Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtverbrauch steigen. Andererseits produzierten die klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke im Land 2013 mehr Energie als je seit 1990. Braunkohle ist wieder in. Mit Folgen fürs Weltklima – und die Bewohner der Oberlausitz.
Der Vattenfall-Turm
Nur 15 Autominuten entfernt von Neustadt/ Spree liegt das Dörfchen Rohne. Entlang der Straße liegen flaches Land und ähnlich flache Häuser. Auf dem Weg geht es vorbei an Nochten I.
Auf den ersten Blick laden die abzweigenden glatten Straßen zu einer Erkundungsfahrt ein. Aber sehr bald stehen Verbotsschilder, die nur Betriebsangehörigen die Weiterfahrt gestatten. Bis an die Tagebaukante gelangt man nicht.
Wer sich einen Überblick verschaffen und den ökologischen Preis für Kohlestrom mit allen Sinnen erfassen will, kann den Aussichtsturm am Schweren Berg bei Weißwasser besteigen. Hier hat Vattenfall ein sogenanntes Kommunikationszentrum errichtet. Auf dem 30 Meter hohen Turm weht der Wind. So weit der Blick in südwestlicher Richtung reicht, mildern kein Baum und kein Strauch seine Kraft. Am Horizont erscheinen die Kühltürme des Kraftwerks Boxberg, neben winzig wirkenden Baggern. Wo heute Mondlandschaft ist, lagen einst die Dörfer Mühlrose und Tzschelln und ein Naturschutzgebiet.
Ankunft in Rohne. Hier versammeln sich an einem trüben Wintertag sechs Menschen, die der Protest gegen Nochten II eint. Keine „Zugezogenen“ wie Rinnert und Böttcher, sondern Leute, die fast ihr ganzes Leben hier verbracht haben – und die dem neuen Tagebau weichen müssten. Leute wie Rudi Krauz.
Heimat der Sorben
Wenn der 76-Jährige spricht, tut er es so laut, dass sich die fünf anderen am Esstisch vermutlich wünschen, er wüsste nicht so viel über die Gegend zu berichten: Dass hier die slawische Minderheit der Sorben beheimatet ist, der auch er angehört. Dass in 90 Jahren Tagebau 136 Ortschaften verschwunden seien. Dass er und seine Eltern hier geboren wurden. Dass der Rat der Gemeinde Schleife, wozu das Dorf Rohne gehört, gegen die Umsiedlung gestimmt habe, aber nun entgegengesetzt handle. Und dass manche Menschen, sollte Nochten II tatsächlich kommen, bereits zum zweiten Mal einem Tagebau weichen müssten. Lange redet Krauz, ein Mann mit großen, von harter Arbeit geformten Händen. „Aber was ich sagen will, ist ganz einfach“, erklärt er zum Schluss: „Wir wollen nicht weggebaggert werden. Punkt.“ Die Umsitzenden nicken.
Neben Krauz sitzt Edith Penk. Die 75-Jährige, graues Haar, Brille, blendendes Gedächtnis, ist eine Größe im Widerstand gegen Nochten II. Sie zeigt auf eine Landkarte, bewegt ihren Zeigefinger von einer Stelle zur nächsten: „Von hier würden die Menschen dorthin umgesiedelt, nach ’Neu-Rhone‘, ein paar Kilometer weiter. Dabei wurde an der Stelle schon zu DDR-Zeiten Kupfer entdeckt.“ Noch eine Umsiedlung, diesmal wegen des begehrten Metalls? Ein Albtraum. Die Sorbin Penk klagt, die Domowina – Dachorganisation der slawischen Minderheit – unternehme nichts zu deren Schutz.
Die sechs Menschen am Tisch verbindet nicht allein ihr Protest gegen Nochten II. Sie eint auch eine hilflose Wut. Zu DDR-Zeiten baggerte hier die VEB BMK Kohle und Energie die Bodenschätze ab, heute tut es Vattenfall. In ein paar Jahren könnte der Betreiber einen polnischen Namen tragen. Es halten sich Gerüchte, der schwedische Staatskonzern erwäge, sich von der lästigen Kohle zu trennen. Doch der deutsche Firmensprecher Thoralf Schirmer dementiert Verkaufsabsichten. Der taz sagt er: „Vattenfall bleibt auf absehbare Zeit Eigentümer seiner kontinentaleuropäischen Aktivitäten.“
„Die Mehrheit hat Angst“
Die Firmennamen mögen sich ändern, doch bei den Betroffenen bleibt das Gefühl der Machtlosigkeit. Die Ausbaugegner wissen um das Dilemma ihrer Nachbarn. Vattenfall und seine Subunternehmer geben vielen von ihnen Arbeitsplätze. Wer ist für den Tagebau, wer dagegen? Keiner traut dem anderen. Stattdessen explodieren Briefkästen, und niemand hier scheint zu bezweifeln, dass es mit der Braunkohle zu tun hat.
Wird der Protest erfolgreich sein? Penk ist skeptisch. „Wir sind eine Minderheit. Eine schweigende Mehrheit hat Angst, will aber nichts sagen.“ Die fünf am Tisch nicken stumm.
Noch ist nicht sicher, dass Nochten II je abgebaggert wird. Doch etwas im Dorf ist bereits zerstört.
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