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Brasilianische WM-ZuschauerFußballtempel für reiche Weiße

Nur konservative und gutsituierte Brasilianer können sich Stadionbesuche leisten. Und die sind meist weiß. Schlecht für das Volk – und für Dilma Rousseff.

Bling-Bling – reich und privilegiert ist, wer es bei der WM in Brasilien ins Stadion schafft. Bild: ap

RIO DE JANEIRO taz | Seit langem bekannt, doch jetzt statistisch bestätigt: Dilma Rousseff ist selbst Schuld an den Pfiffen und Buhrufen, die ihr bei der WM-Eröffnung im Stadion entgegenschallten. Die große Mehrheit der brasilianischen Stadien-Besucher ist reich, weiß und überdurchschnittlich gebildet. Das Publikum entspricht dem Durchschnitt eines Nobelviertels in Rio de Janeiro oder São Paulo. Dort wird mehrheitlich rechts gewählt, die Präsidentin gilt als Sozialistin und ihre Arbeiterpartei als Garant des Chavismus in Venezuela.

Das Umfrageinstitut Datafolha befragte das einheimische Publikum beim Spiel Brasilien-Chile im Mineirão in Belo Horizonte: 90 Prozent gehörten der Ober- und der gehobenen Mittelschicht an, die gerade mal elf Prozent der gut 200 Millionen Brasilianer ausmachen. Gut zwei Drittel bezeichneten sich als Weiße, die nur 49 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Das Kriterium für diese Einordnung, die bei Quoten für Studienplätze oder seit kurzem auch bei Ausschreibungen im öffentlichen Dienst zugrunde gelegt wird, ist in Brasilien die Selbsteinschätzung.

Es ist also (fast) nur die Elite Brasiliens, die die schicken Fifa-Stadien besucht. Jene Elite, die Ex-Präsident Lula schon immer für die Rückständigkeit des Landes verantwortlich gemacht hat, die die Presse kontrolliert und deren Hass auf die neuen Machthaber nach zwölf Jahren immer größer wird. Das war seit langem abzusehen, wegen der hohen Eintrittspreise und der Fifa-Philosophie, die den Fußball zu einem Kommerzspektakel machen will. Doch die Regierung ließ die Fifa gewähren und unterschrieb entsprechende Gesetze, die dem WM-Gastgeber jede Einflussmöglichkeit nahmen.

Wie undankbar diese Elite ist, müsste Rousseff eigentlich wissen. Seit Jahren verzeichnen Banken Rekordgewinne, die Reichen werden immer Reicher, das Presseoligopol und die großen Landbesitzer werden nicht angetastet. Aber die Privilegierten stört, dass es jetzt mehr Einkommen für Arme gibt und auch Sozialprogramme, die von rechts gerne als „Wahlkampfgeschenke“ verunglimpft werden.

„Es ist eine Schande“

Reinaldo Reis ist einer von Zehntausenden Fans, die stinksauer darüber sind, dass für sie der Profifußball nur noch vor dem Fernseher stattfindet. Dabei denkt er gar nicht an die WM, sondern an seinen Lieblingsclub. „Mein Sohn ist jetzt 14 Jahre alt, und noch nie konnte ich ihm das Maracanã von innen zeigen. Es ist eine Schande, was sie aus unserem Stadion gemacht haben,“ klagt der 39-jährige. Reis ist Fan von Flamengo, dem populärsten Verein von Rio de Janeiro, sein Sohn „natürlich” auch.

Schon nach der ersten Stadiumreform sei es zu einem Luxus geworden, die hohen Preise zu bezahlen. „Seitdem der Fifa-Standard gilt, ist es für mich unerschwinglich geworden. Mindestens 80 Reais (umgerechnet fast 30 Euro) pro Karte, welcher Arbeiter kann sich das leisten?“ fragt Reis.

Die Eintrittspreise für brasilianische Ligaspiele haben sich in den vergangenen Jahren mindestens verdoppelt, manchmal sogar vervierfacht. Besonders krass sind die Preissteigerungen in den WM-Stadien: Der Besuch von Ligaspielen in den neuen WM-Tempeln ist im Schnitt 120 Prozent teurer als in den herkömmlichen Stadien. Allein zwischen 2011 und 2012 verlor die erste Liga über 700.000 Fans auf den Rängen. Trotz des Besucherrückgangs um 13 Prozent, stiegen die Einnahmen der Vereine aus dem Ticketverkauf um drei Prozent.

„In den Stadien ist die Zeit der Fußballfans aus den ärmeren Schichten abgelaufen. Jetzt kommen die Fans der Elite, oder besser gesagt: die Konsumenten,“ kommentiert das Infoportal „apublica.org“. Auch der Anthropologe Antonio Oswaldo Cruz stellt fest, dass „das Stadion immer mehr in einen Ort des Konsums verwandelt wird“.

Fifa braucht keine Fans

Den Vereinen ist es recht: Der Tickerverkauf macht mittlerweile nur einen Bruchteil der Einnahmen aus, Werbung und Fernsehrechte sind bei weitem profitabler. Die Fifa braucht sowieso keine Fans mehr – etwas Geräuschkulisse und die Einblendung schöner Gesichter reicht völlig aus, um die Fernsehübertragungen realistisch zu gestalten.

Die „Elitisierung der Stadien“ war von Beginn an eines der wichtigsten Anliegen der WM-Kritiker: Es gibt keine Stehplätze mehr, die in Jahrzehnten gewachsene Fankultur wird durch die Umstrukturierung der Stadien ausgegrenzt. Kein gemeinsames Feiern mehr vor, während und nach dem Spiel.

Stattdessen große Parkplätze und – wie beim Maracanã geplant – ein integriertes Shoppingcenter mit Flaniermeile. Das Maracanã ist bereits privatisiert, bei anderen der zwölf WM-Stadien droht das gleiche Schicksal, obwohl die Investitionen von über drei Milliarden Euro fast ausschließlich aus öffentlichen Mitteln kamen.

Sogar das brasilianische Sportministerium gibt zu, dass die Dinge in die falsche Richtung laufen. „Wir wissen, dass vor kurzem ein Prozess der Elitisierung der Stadien eingesetzt hat,“ so der nationale Sportsekretär Toninho Nascimento. „Wir versuchen, diese Entwicklung zu bremsen. Doch es ist schwierig, denn viele der neuen Arenen sind privat. Und wir können die Tickets nicht subventionieren,“ erklärte Nascimento.

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