piwik no script img

Polizei und rechtsextreme ÜbergriffeEs hat sich wenig geändert

Die Morde des NSU haben vorgeführt, wie Ermittlungen bei rechtsextremen Übergriffen verlaufen. Die Polizei scheint daraus wenig gelernt zu haben.

Weggucken bringt nichts Bild: dpa

BERLIN taz | Ende August drangen zwei teilweise maskierte Männer in das Haus einer türkischen Familie in Betzdorf, Rheinland-Pfalz. Sie bedrohten die Eheleute und ihre fünf Kinder mit einer Eisenstange und einer Pistole. Als die alarmierte Polizei anrückte, fand sie nur noch die schockierte Familie vor, den Vater mit einem Brotmesser in der Hand. Er wurde in Handschellen abgeführt. Die Beamten gingen von einer Familienfehde aus.

„Das zeigt, dass die Polizei bis heute keine Lehren aus den NSU-Morden gezogen hat“, schäumte der Vorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat. Die Familie geht davon aus, dass die Eindringlinge Rechtsradikale waren, die sie einschüchtern wollten. Türkische Medien griffen den Fall auf, das türkische Konsulat schaltete sich ein, die Familie erstattete Anzeige gegen die Beamten.

„Die Sicherheitsbehörden sind in der Pflicht, das Vertrauen der Migranten zurückzugewinnen“, mahnte auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer. Doch auf die Frage, welche Konsequenzen etwa das Bundeskriminalamt aus der NSU-Affäre gezogen hat, verweist ein Sprecher des vorgesetzten Bundesinnenministeriums lapidar auf das neue „Abwehrzentrum“ und die Rechtsextremismusdatei, an der das BKA „maßgeblich beteiligt“ sei.

Ein Jahr danach

Elf Jahre nach ihrem ersten Mord flog die rechtsextreme Terrorzelle NSU im Herbst 2011 auf. Am Freitag, 2. November, ist die taz mit einem sechseitigem Dossier zur NSU erschienen. Mit Analysen, Reportagen und Stimmen der Opferangehörigen. Am Kiosk, eKiosk oder im Abo.

Doch die immer neuen Enthüllungen über Polizisten, die Mitglied beim Ku-Klux-Klan waren oder Neonazis vor Razzien gewarnt haben sollen, wie sie im Zuge der NSU-Ermittlungen publik wurden, säen neue Zweifel. Und die antirassistische Amadeu-Antonio-Stiftung meint, dass sich an der alltäglichen Polizeiarbeit auch nach der NSU-Affäre wenig geändert hat.

Bis heute würde bei rechtsextremen Übergriffen der Hintergrund der Tat häufig ignoriert – und stattdessen die Opfer verdächtigt. BKA-Chef Jörg Ziercke schlug deshalb jetzt, zum Jahrestag der Aufdeckung der NSU-Terrorzelle, eine Einstellungsquote für Polizisten mit Migrationshintergrund vor. Mehr Migranten bei der Polizei könnten die Beamten gegen fremdenfeindliche Tendenzen sensibilisieren.

Die türkische Gemeinde in Deutschland fordert außerdem, bei Morden an Migranten immer zuerst auch einen rechtsextremen Hintergrund in Erwägung zu ziehen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält davon allerdings wenig. „Bei einem Mordfall ist der Täter in rund 90 Prozent der Fälle eine Person im nahen, familiären Umfeld des Opfers“, erläutert GdP-Chef Bernhard Witthaut. Das gelte auch für Migranten. Daher mache es „wenig Sinn“, zunächst der Zehn-Prozent-Wahrscheinlichkeit einer rassistisch motivierten Tat nachzugehen, so Witthaut.

„Kein Bedarf“

Die Ombudsfrau der NSU-Opfer, Barbara John, hatte außerdem eine Beschwerdestelle vorgeschlagen. „Mit ihrer Forderung unterstellt Frau John der Polizei eine latente Ausländerfeindlichkeit“, ärgert sich Witthaut, und weist auf die wachsende Zahl von Polizisten mit Migrationshintergrund hin.

Auch das Bundesinnenministerium sieht „aktuell keinen Bedarf für eine zusätzliche Beschwerdestelle“. Schon jetzt könne jeder Bürger eine Dienstaufsichtsbeschwerde einreichen. Ansonsten stehe „der Rechtsweg offen“. Doch in der Realität verzichten Opfer von Polizeigewalt oft auf eine Anzeige. Nicht selten raten ihnen Beamte auch ab.

Kommt es doch zur Anzeige, dann werden die Ermittlungen oft eingestellt, bevor es zur Anklage kommt. Und landet der Fall doch vor Gericht, müssen die mutmaßlichen Opfer meist mit einer Gegenanzeige wegen „Beleidigung“ oder „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ rechnen. Amnesty International plädiert deshalb für „unabhängige Untersuchungsmechanismen“.

Im Betzdorfer Fall kann die örtliche Polizeigewerkschaft bis heute keinen Fehler erkennen. Ein Sprecher nannte die Rassismusvorwürfe „ungeheuerlich und beleidigend“. Auch der SPD-Bürgermeister des Ortes, Bernd Brato, ist überzeugt, dass die Tat keinen rechtsradikalen Hintergrund gehabt hat. Inzwischen ermittelt eine andere Polizeidirektion, die im September mit einem Phantombild eines der mutmaßlichen Täter an die Öffentlichkeit ging – Wochen nach der Tat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • O
    OTMAPP

    "Die Ombudsfrau der NSU-Opfer, Barbara John, hatte außerdem eine Beschwerdestelle vorgeschlagen."

     

    Was soll das bringen?

    Was wir brauchen ist eine unabhängige Institution, die Straftaten von Staatsanwälten und Polizisten aufdeckt und zur Anklage bringt. Vorbild könnten da ausnahmsweise mal die USA sein.

     

    Ansonsten werden Polizisten auch in Zukunft weiterhin Straftaten verüben können, mit rassistischen Pöbeleien auffallen oder in extremistischen Organisationen sich betätigen und wie immer ungeschoren davon kommen.

    (Ein Disziplinarverfahren werte ich jetzt mal nicht als Strafe. Wer selber im öffentlichen Dienst arbeitet, weiss das 99 % aller Diszi's absolut Folgenlos für die Betroffenen bleiben)

  • W
    Weinberg

    Eine Polizei, die in der Regel auf dem rechten Auge blind ist, wird nie und nimmer Lehren aus dem Geschehen ziehen!

     

    Und wer auf "Muttis" Versprechen vertraut, der hat trefflich auf Sand gebaut!

  • D
    Dillinger

    @ vic

     

    Du unterstellst nicht nur der Polizei, sondern auch dem "Rest der deutschen Bevölkerung" eine latente Ausländerfeindlichkeit? Wirklich der gesamten Bevölkerung? Na gut, wenn dem so ist... Dann ist also auch Daniel Bax latent ausländerfeindlich, und Du bist es auch. Richtig?

  • MA
    mir aus

    „Bei einem Mordfall ist der Täter in rund 90 Prozent der Fälle eine Person im nahen, familiären Umfeld des Opfers“, erläutert GdP-Chef Bernhard Witthaut. Das gelte auch für Migranten. Daher mache es „wenig Sinn“, zunächst der Zehn-Prozent-Wahrscheinlichkeit einer rassistisch motivierten Tat nachzugehen, so Witthaut.

     

    GENAU SO SIEHTS AUS!!!!! UND DESWEGEN WURDE AUCH ERST IM PERSÖNLICHEN UMFELD DER OPFER ERMITTELT; GENAU WIE BEI ANDEREN MORD-OPFERN AUCH.ABER DAS WIRD JA IMMER VERSCHWIEGEN.

  • WR
    Weiße Rose

    Es zeigt sich täglich wieder und wieder:

    Polizei, Verwaltung und Justiz müssen in Deutschland von internationalen Organisationen kontrolliert und überwacht werden!

    Schließlich wurden diese sensiblen Institutionen nach der Nazi-Barbarei maßgeblich von den Mördern wiederaufgebaut und geprägt.

  • V
    vic

    „Mit ihrer Forderung unterstellt Frau John der Polizei eine latente Ausländerfeindlichkeit“, wird gesagt. Dasselbe tue ich auch, wie übrigens auch dem Rest der deutschen Bevölkerung.

  • D
    daweed

    "Auch der SPD-Bürgermeister des Ortes, Bernd Brato, ist überzeugt, dass die Tat keinen rechtsradikalen Hintergrund gehabt hat."

     

    der beste Beweis für das große Problem der Mitte!

  • A
    Andreas

    Wenn ich in Hamburg eine Anzeige in einer Polizeiwache aufgebe, sind die Polizisten in der Regel aus Mecklenburg-Vorpommern. Die sind nicht unbedingt rechts, neonazi oder gar Sympathisanten der NSU, aber es ist schon auffällig, dass sie einen vollkommen anderen sozio-kulturellen Erfahrungshintergrund haben, als die Menschen aus der Stadt. Und einen Migranten habe ich bei der Polizei in Hamburg noch nie gesehen und die Stadt wurde jahrzehntelang meistens von der SPD regiert.

     

    Ich denke, solange Ostdeutsche versuchen, bei der Polizei im Westen anzufangen, solange wird es dort ein ziemliches Übergewicht an Ostdeutschen geben und damit steigt auch die Gefahr, dass darunter eben Leute sind, die in ihrem Leben Rechtsextremismus und Neonazitum nicht als die Bedrohung empfunden haben, wie ich oder andere Leute hier z.B. in Hamburg. Natürlich rutschen auch Leute durch, die sogar rechtsextremistisch sind. Vielen ist das vielleicht nicht mal bewusst, dass ihre Meinung eher gegen die Demokratie ist als für sie.

     

    Wenn ich dann in Rechnung stelle, dass aus dieser - zumindest hier - von Ostdeutschen dominierten Polizei auch langsam die Karriereleitern richtung Kriminalpolizei, Staatsschutz oder MEK emporgeklettert wird, dann kann ich nur sagen:

    Lieber Daniel Bax - das ist erst der Anfang. In Zukunft muss man damit rechnen, dass selbst die Leitung bei der Polizei anfälliger für Rechts ist, als heute. (Wenn da nicht Leute nach Oben durchrutschen, die Neonazis sind)

     

    Und welcher Afrikaner, Kurde, Araber oder Türke möchte gerne bei der Polizei anfangen, wenn er dort alleine ist und die anderen meist aus dem Osten kommen.

  • J
    Jürgen

    "unterstellt Frau John der Polizei eine latente Ausländerfeindlichkeit"

    wieso eigentlich "unterstellt" und "latent", nach allem was schon rausgekommen ist?

  • H
    Humankapital

    Zwei, teilweise Vermummte....

    Waren die beiden Eindringlinge auch teilweise blond?

    Oder teilweise mit brauner Augenfarbe?

     

    Eine schöne Formulierung für zwei Personen, von denen eine vermummt war.

  • T
    T.V.

    „Mit ihrer Forderung unterstellt Frau John der Polizei eine latente Ausländerfeindlichkeit“, ärgert sich Witthaut, und weist auf die wachsende Zahl von Polizisten mit Migrationshintergrund hin.

     

    Weil mehr sogenannte Migranten zur Polizei stoßen ist sie also nicht ausländerfeindlich. Interessante Logik. Wer das behauptet muß zum einen denken, daß sogenannte Migranten niemals ausländerfeindlich sind und zum anderen, daß die (z.T. sicherlich erzwungene) Zusammenarbeit zwischen einem 'ausländischen' und einem 'deutschen' Polizisten i.d.R. mögliche Ausländerfeindlichkeit (des Deutschen natürlich nur) auslöscht.

     

    Da glaub ich doch eher der latenten Ausländerfeindlichkeit bei der Polizei. Wer Recht, Ordnung und Staatsgewalt liebt geht zur Polizei. In das Schema passen 'Ausländer' nach 'deutschen' Maßstäben eher nicht. Armes christlich geprägtes Weltbild.

  • M
    mik

    Da Polizei überwiegend Ländersache ist und den beschriebenen Fall die Polizei RP zu verantworten hat, wäre es sinniger gewesen dort beim IM nachzufragen statt beim BMI. Generell wäre es sinnig gewesen bei allen IM, auch dennen mit Rot-Grüner Regierungsbeteiligung, wieso dort keine Beschwerdestelle eingerichtet wird.