Wissenschaftler über Islamophobie: „Die Asymmetrie zum Islam ist riesig“
Offene Islamophobie geht nicht mehr, sagt Koray Yilmaz-Günay. Doch Konservative haben noch lange keinen Frieden mit dem Islam gemacht.
taz: Herr Yilmaz-Günay, die Bild-Zeitung hat am Wochenende einen islamophoben Kommentar gedruckt. Anschließend hat sie sich dafür entschuldigt und das Gegenteil behauptet. Macht der deutsche Konservatismus langsam seinen Frieden mit dem Islam?
Koray Yilmaz-Günay: Nein. Der deutsche Konservatismus sieht den Islam nach wie vor in erster Linie als Problem.
Anders als für die Opfer der rechtsextremen Morde in den 1990er Jahren gab es für die NSU-Opfer einen Staatsakt. Christian Wulff hat den Islam zum Teil Deutschlands erklärt. Jetzt hat das wichtigste konservative Medium Skrupel bei offener Islamophobie. Ist da nichts in Bewegung gekommen?
Die NSU-Opfer galten vor allem als Opfer von Nazis, daher die Sympathie für sie. Wulff wurde von Gauck korrigiert, der nur feststellte, „Muslime gehören zu Deutschland“. Der Staat hält an seiner Bevorzugung der großen christlichen Kirchen fest: Die dürfen Steuergelder für Krankenhäuser, Beratungsstellen oder Polizei- und Militärseelsorger ausgeben. Sie dürfen staatlich finanzierte Schulen betreiben, bei denen kaum jemand nach dem Curriculum fragt. Sie sind der zweitgrößte Arbeitgeber im Land, aber als Tendenzbetriebe vom Gleichbehandlungsgesetz befreit. Solche Rechte hat de facto keine andere Glaubensgemeinschaft. Der Abstand zu jüdischen Gemeinden ist groß, die Asymmetrie zum Islam riesig.
Trotzdem gibt es Bemühungen um Änderung – etwa die Islamkonferenz.
Damit versucht das Innenministerium, aus heterogenen Gemeinden ein einheitliches Gebilde zu formen. Mit dieser Einhegung sollen die Muslime besser kontrolliert und besonders problematische Gruppen aussortiert werden. Nein, die ausgestreckte Hand, die manche sehen, ist einer anderen Tatsache geschuldet: In Ansätzen seit dem 11. September 2001, vor allem seit 2004, als ein Islamist den niederländischen Satiriker Theo van Gogh ermordete, wurden plötzlich alle so genannten Ausländer zu Muslimen. Vorher gab es Pakistanis, Iraner, Türken. Danach wurden alle, egal, was ihnen Religion bedeutet, zu einer homogenen Gruppe gemacht. Das ist eine neue Folie für Ausschluss.
Aber die Bild etwa hat am Montag explizit zwischen Islamisten unterschieden, die keinen Platz haben sollen, und Muslimen, die willkommen seien.
Das ist längst nicht der Konsens aller Konservativen oder gar der Gesamtgesellschaft. Es geht nicht nur um Islamisten. Behauptet wird: Je stärker religiös Muslime sind, desto eher lehnen sie unsere Grundordnung ab. Und desto größer ist die Neigung zu Frauenfeindlichkeit, Judenhass und Homophobie.
Und ist da nichts dran?
Es gibt solche Phänomene, wie in der restlichen Bevölkerung auch. Der Unterschied ist: „Familientragödie“ bei Christen oder Atheisten werden als Einzelfall betrachtet. Bei Muslimen werden sie kulturalisiert oder der Religiosität der Täter zugeschrieben.
Anlass der Bild-Kommentare waren auch die Al-Quds-Demos am letzten Freitag. Dort war offener Antisemitismus zu beobachten, der von bekennenden Muslimen verbreitet wurde.
Wenn man sich anschaut, was Politiker aller Parteien oder Prominente wie Sarrazin teilweise gegen Juden sagen, braucht man nicht darauf zu verweisen, dass Muslime Antisemitismus reimportieren. Der existiert hier als gesellschaftlicher Bodensatz und wird immer mal wieder aktualisiert. Das vor jüdischen Einrichtungen Polizei steht, ist ja keineswegs nur wegen Muslimen. Trotzdem wird gesagt, die bringen etwas zurück, was wir längst überwunden haben.
Wer sagt das?
Alice Schwarzer tut das etwa in Bezug auf Sexismus, der Lesben- und Schwulenverband in Bezug auf Homophobie und jetzt eben Nicolaus Fest in der Bild am Sonntag. Der ist ja selbst nie als besonderer Freund der Schwulen oder Frauen aufgefallen. Sexismus, Antisemitismus und Homophobie werden gern ausgelagert: Historisch auf den Nationalsozialismus, aktuell auf die Muslime. So lässt sich ganz hervorragend die Mitte der Gesellschaft reinwaschen. Als vermeintliche Problemträger bleiben regelmäßig entweder Nazis oder Muslime übrig.
Das Gebot der Solidarität mit Israel wird nicht nur mit dem Holocaust begründet, sondern oft auch mit einer „christlich-jüdischen Tradition“, aus der gemeinsame Werte erwachsen sein sollen. Darin schwang immer eine Herabsetzung des arabischen Kulturkreises mit. Rächt sich das jetzt, wo auch Konservative anerkennen müssen, dass sie in einer Einwanderungsgesellschaft leben?
Diese Behauptung vom „christlich-jüdischen Abendland“ ist eine der größten Lügen im Selbstbild nichtjüdischer Deutscher. Wenn es irgendwo eine traditionelle Verbindung mit dem Judentum gibt, dann vielleicht historisch im muslimischen Andalusien oder in Bosnien. Die jüdisch-christliche Realität heißt Pogrom, Deportation und Exil. Das begann mit den Kreuzzügen, später wurden Juden in Lager gesteckt und vernichtet.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben