Pandemie eskaliert in Indien: Zu wenig, zu spät
Die Regierung in Indien hat zu spät gegen das Coronavirus gehandelt. Nun sind die Warnungen wahr geworden: Die Pandemie ist außer Kontrolle.
S eit Wochen sind die Intensivstationen der indischen Metropolen wieder chronisch überlastet. Dennoch dauerte es, bis der indische Premierminister Narendra Modi vom Wahlkampfmodus in den Krisenmodus umgeschaltet hat – viel zu spät. Als Modi warnte, dass das Wiederaufflammen des Coronavirus Indien wie ein Sturm treffe, hatten die Neuinfektionen bereit 250.000 Menschen am Tag überschritten, nun haben sie die Marke von 315.000 erreicht.
In Metropolen wie Mumbai wurden Anfang des Jahres Corona-Feldkrankenhäuser wieder abgebaut. Kaum jemand rechnete damit, dass sie drei Monate später wieder gebraucht würden. Ähnlich sieht es bei der Produktion des wichtigen Medikaments Remdesivir für die Behandlung aus. Der Staat legte keinen großen Vorrat an. Die Impfstoffproduktion in Indien lief an, wurde aber erst jüngst intensiviert. Auch die religiöse Massenversammlung Kumbh Mela wurde zwei Wochen lang nicht gestoppt.
Erst in dieser Woche wurde der Ernst der Lage von der Zentralregierung erkannt, die unter anderem ankündigte, die Altersbeschränkung für das Impfen aufzuheben und den Impfstoffmarkt für weitere Vakzine zu öffnen. Wegen der vertanen Zeit traf die neue Coronawelle Indien mit einer noch nie da gewesenen Wucht. Heute sind die Horrorwarnungen von vor einem Jahr bedauerlicherweise wahr geworden: Menschen sterben auf den Straßen, weil sie nicht mehr ins Krankenhaus eingeliefert werden können. Die in Indien gefundene Doppelmutante B.1.617 – sehr viel ansteckender – verbreitet sich rasant.
Selbst der Sauerstoff ist knapp geworden, obwohl Indien zu den größten Herstellern weltweit zählt. Das Gesundheitssystem steht vor dem Zusammenbruch. Dabei kann diese Welle niemanden überrascht haben. Sie traf Indien, genau wie beim ersten Mal, mit einer zeitlichen Verzögerung.
Die Bürger:innen verlieren den Glauben an das System. Mütter, Väter, Töchter und Söhne sterben weiter. Indien zahlt einen hohen Preis für seine Versäumnisse, die kaum wiedergutzumachen sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen