Daniel Cohn-Bendit über Gelbwesten: „Lasse mich nicht ins Trikot zwingen“
Die Bewegung der Gelbwesten treibt die französische Regierung vor sich her. Was sind das für Leute? Daniel Cohn-Bendit über rechte Kader und linke Hoffnungen.
taz: Daniel Cohn-Bendit, was ist gerade los in Frankreich, was verbirgt sich hinter der Bewegung der Gelbwesten (Gilets jaunes)?
Daniel Cohn-Bendit: Es ist eine Revolte gegen eine soziale Ungerechtigkeit, eine, die seit Langem währt. 1995 sprach der konservative Präsidentschaftskandidat Jacques Chirac von „la fracture“, vom „Bruch“ in den sozialen Verhältnissen.
Wenn das Problem so lange schon bekannt ist: Weshalb hat der nun amtierende Präsident Emmanuel Macron diesen „Bruch“ nicht beseitigt – er ist doch als Reformpräsident gewählt worden?
Das ist wirklich eine richtige, das ist die entscheidende Frage. Macron hat ja im Wahlkampf versprochen, diese Spaltung des Landes in sozialer Hinsicht zu beseitigen. Bislang ist das noch nicht gelungen. Die Bewegung der Gilets jaunes speist sich aus der Stimmung gegen ihn – zumal er sich einige nicht nur sprachliche Ausrutscher geleistet hat, die ihn als arroganten Präsidenten zeigten.
Sie finden die Bewegung, von der wir aus ganz Frankreich berichtet bekommen, gut?
Nein, das wollte ich damit nicht sagen. Ich habe diese Bewegung nur im Hinblick auf ihre sozialen Ursprünge beschrieben.
73, war Politiker und ist jetzt proeuropäischer Aktivist.
Würden Sie auch ein „Gelbes Hemd“ anziehen?
Falls ich so antworten darf: Das ist schon aus historischen Gründen für mich ganz unmöglich. Der Judenstern, den die Nazis jüdischen Bürgern und Bürgerinnen aufzwangen, war ja gelb … Aber falls ich davon absehe: Ich lasse mich nicht zwingen, ein Trikot anzuziehen, das ich mir nicht überziehen will.
Wurden Sie gezwungen?
Ich nicht, aber das haben Leute erlebt, die die Straßensperren passieren wollten – sie sollten aber nur weiterfahren dürfen, wenn sie sich ein „gilet jaune“ überziehen – das nenne ich Zwang, und den lehne ich strikt ab. Diese Bewegung hat mehr als nur leicht autoritäre Züge. Sie lehnt das Gespräch ab, sie will keinen Kompromiss finden. Zum Beispiel hat sie diejenigen, die einen Verhandlungskompromiss finden wollten, mit dem Tod bedroht. Keine Stimme in den sozialen Medien der Bewegung hat sich dagegen aufgelehnt. Sie wollen den demokratisch gewählten Präsidenten weghaben.
Manche erinnert die Bewegung der Gelbwesten an die Unruhen des Jahres 1968 in Paris.
Grotesk! Damals hatten wir es an der Staatsspitze mit einem General zu tun, mit Charles de Gaulle, heute haben wir es mit einer Bewegung zu tun, wie Sprecher es ausdrücken, die am liebsten wieder einen General an der Spitze hätte: General Pierre de Villiers.
Aber es geht doch um eine Basisbewegung …
Nein, schon der Begriff verdeckt, dass nicht alle mitmachen und mitmachen wollen. José Bové, der große Kämpfer in der Antiglobalisierungsbewegung, der radikale Landwirt, sagt: Der überwiegende Teil der Gelbwesten-Bewegung stammt aus dem Front National, aus dem Reservoir der ganz Rechten – mit denen will er nichts zu tun haben.
Wie dem auch sei: Präsident Macron gilt ja nicht grundlos als Präsident der Reichen – die Abschaffung der sogenannten Reichensteuer gleich am Anfang seiner Amtszeit zählt doch dazu.
Das mögen Experten kompetenter bewerten, aber viele, die ich für klug halte, sagen, diese Reichensteuer habe nichts gebracht – andere, die ich für genauso klug halte, fordern die Wiedereinführung.
Und zugleich ist es Macron gewesen, der in den Banlieues neue Sozialprogramme ablehnt.
So stimmt das nicht. Er hat das Paket der neuen Maßnahmen zum Teil abgelehnt, versucht aber zum Beispiel mit der besseren Versorgung von Schulen mit Lehrer*innen in den Banlieues langfristig etwas zu verändern. Richtig ist, dass er genauso wenig wie seine Vorgänger eine schlüssige Strategie für diese abgehängten Orte hat.
Woraus entnehmen Sie, dass die Anführer der Gelbwesten rechtsradikalen Haltungen nahestehen?
Einige der Anführer, die jetzt das Wort im Fernsehen führen, haben ihre Websites voller Texte gegen Muslime, gegen Ausländer, gegen alles Fremde.
Vielleicht sind dies nur Einzelne.
Es sind nicht alle, aber sehr viele. Die Linke macht mal wieder den Fehler, den sie immer macht: Revolten, die ihr Herz erwärmen, schon für emanzipativ zu halten. In Deutschland dachten Linke, vor allem die KPD, nach den Verträgen von Versailles, als es Armutsproteste in Deutschland gab, dass nun die Zeit für sowjetische Verhältnisse komme. Zehn Jahre später kam alles ganz anders … wie wir wissen.
Die Ökosteuer für Benzin und Diesel ist jetzt ein Jahr ausgesetzt – ist das gut?
Politisch ist das das Gebot der Stunde – ökologisch eine Katastrophe. Es geht nicht anders. Im kommenden Jahr müssen die Ökobewegung und der Umweltminister dafür sorgen, dass ein sozialer Ausgleich geschaffen wird, damit die Ökosteuer wieder eingeführt werden kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Trump und Krypto
Brandgefährliche Bitcoin-Versprechen