Kommentar Braunkohle-Proteste: Ihr seid Helden
RWE lässt die Waldbesetzer im Hambacher Forst aus ihren Baumhäusern zerren. Warum die ÖkokämpferInnen trotzdem siegen werden.
S tellen Sie sich einen alten, sehr alten Wald vor, mitten in Deutschland, diesem durchindustrialisierten, zerstückelten Land, das von oben aussieht, als sei auch noch die letzte Bergspitze genutzt, bewirtschaftet, bürokratisiert.
In diesem Wald stehen 300 Jahre alte Bäume, in denen Waldkäuze und Fledermäuse leben. Eines Tages rücken Polizeihubschrauber, Bagger, Kettensägen an und vernichten den Wald. Zurück bleibt eine Brache, ein tiefes Loch, ein Mahnmal der Zerstörung.
Das ist es, was zurzeit am Hambacher Forst geschieht. Der Energiekonzern RWE vernichtet ihn, um die Braunkohle darunter wegzubaggern und Strom zu erzeugen. Seit Jahren besetzen immer wieder AktivistInnen den Wald, sie leben in Baumhäusern, um die Natur zu retten.
Das Verwaltungsgericht in Köln hat zuletzt eine Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) in erster Instanz abgewiesen, der Tagebau darf weitergeführt werden. Also setzt die Polizei seit heute die Eigentumsrechte von RWE durch – und räumt. Dem Konzern gehört der Wald de jure. Obwohl die AktivistInnen ihren Kampf verlieren, sind sie tragische Helden.
Kein naiver Reflex
Diese Ansicht ist kein naiver Reflex aufgrund einfacher Freund-Feind-Schemen: Da der böse Konzern und die brutale Staatsmacht, dort die tapferen FreiheitskämpferInnen, die auch noch, wie einst Robin Hood, im Wald leben. Die Bilder, die sie schaffen, sind tatsächlich so einfach – wer noch nicht gänzlich von Zynismus oder Fatalismus zerfressen ist und einen Hauch Empathie für die Umwelt empfindet, den darf es ruhig schütteln wie Idefix, wenn Bäume fallen, oder sagen wir: wenn sie sterben.
Doch leider ist diese Bildsprache auch abgenutzt. In Brasilien brennt der Regenwald, in Australien sterben die Korallen, die Meere sind vermüllt, bei der Flut an Bildern zerfledderter Natur und atemloser Skandale ist die Konkurrenz für 70 Hektar Wald in Nordrhein-Westfalen um öffentliche Aufmerksamkeit viel zu groß.
Aber das macht nichts. Was die Ökobewegung schon immer stark gemacht hat, ist, dass sie zäh und ausdauernd ist und die Umweltsündergesellschaft von innen zerfrisst wie ein Borkenkäfer die Eiche. Sie besteht aus JuristInnen, PolitikerInnen, DemonstrantInnen, WissenschaftlerInnen, NGOs, sogar aus Investoren und Unternehmen.
Und sie besteht zu einem kleinen Teil aus irren Radikalen, die sich nicht um Widersprüche oder verkopfte Metadiskussionen kümmern, sondern einfach: machen. Sie sind in bestem Sinne verbohrt und teilweise militant, weil sie Sachbeschädigungen in Kauf nehmen. Sie nehmen in Kauf, kriminalisiert, traumatisiert oder verletzt zu werden oder zu Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt zu werden. Seit Jahren, immer wieder.
Die Polizei räumt
Wie immer wird es nach den Räumungen Schuldzuweisungen geben. RWE wird sagen, Mitarbeiter seien angegriffen worden, die Polizei wird verletzte Beamte melden. Die BaumbesetzerInnen werden weggetragen und -gezerrt, mit Pfefferspray in den Augen und vielleicht mit Verletzungen von Schlagstöcken. Ist es das wert?
Ja, das ist es, weil es eine Auseinandersetzung um die richtige Sache ist. Die Bilder der Räumungen werden zwar, wenn überhaupt, nur kurz über unsere Smartphone und Fernseher huschen, was sie wichtig macht ist ihre Permanenz. Sie erzeugen eine Art gesellschaftliche Autosuggestion – Braunkohle, Klimawandel, Zivilisation bedroht, Braunkohle, Klimawandel, Zivilisation bedroht kaputt, Braunkohle, Klimawandel, Braunkohle, Klimawandel, Zivilisation bedroht, Braunkohle, Klimawandel, Zivilisation bedroht, Braunkohle, Klimawandel, Zivilisation kaputt.
Niemand dirigiert die Ökobewegung, sie ist einfach da – und die Radikalen übernahmen schon immer einen wichtigen Teil in diesem Konzert. Die Paukenschläge, wenn spektakulär blockiert (egal ob Castor oder Kohle) und als Reaktion empört wird, und dazwischen das permanente Magengrummeln, das eine überfressene Gesellschaft braucht, um sich endlich zu mäßigen.
Die Rodung ist famoser Schwachsinn
Es geht nicht darum, RWE als Konzern zu verteufeln. Er agiert innerhalb einer veralteten gesellschaftlichen Übereinkunft, nach der die Natur des Menschen Untertan ist. Doch 2017 einen wertvollen Wald zu roden, ist famoser Schwachsinn. Braunkohlekraftwerke müssen in Deutschland vom Netz, darauf haben sich kürzlich in den Jamaika-Sondierungen sogar Union und FDP eingelassen.
Deutschland hat mit seiner Energiewende weltweite Öko-PR betrieben: Industrieland und Klimaziele, das geht zusammen. Jetzt drohen wir unsere Klimaziele bis 2020 zu verfehlen – und wer gelegentlich ausländische Presse liest, der weiß, dass die Welt auf das deutsche Energiewendeexperiment schaut. Ohne ein schnelles Aus für die Braunkohle wird aus den deutschen Windrädern und Solardächern ein Symbol des Scheiterns: Über hundert Milliarden investiert und trotzdem die CO2-Ziele verfehlt.
Die, die in den nächsten Tagen im Hambacher Forst geräumt werden, sind deshalb Helden. Ihre Ziele sind moralisch geboten, sie sind die Ziele unseres Landes und seit dem Pariser Klimaabkommen auch die der Weltgemeinschaft. Mehr Legitimation für Blockaden und zivilen Widerstand gibt es nicht – nur keine Gewalt gegen Menschen, das muss oberste Prämisse bleiben.
Insofern verlieren die AktivistInnen vielleicht einen Kampf um 70 Hektar Wald, aber verlieren kann man eine moralisch richtige Sache nicht. Liebe WaldbesetzerInnen, würde es euch nicht geben, dann müssten andere euren Job machen. Allerdings gibt es wenige, die den Mut zu einem solchen Widerstand haben. Deshalb seid ihr unersetzlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr