Identitäre Bewegung in Deutschland: Weiche Rechte auf die harte Tour
Die sogenannten Identitären geben sich als gewaltfreie rechte Hipster. Dass dieses Image bröckelt, zeigt die Lage um ein Wohnhaus in Halle.
Zwei Wochen liegt dieser Vorfall in Halle/Saale zurück, aber er beunruhigt noch immer die Sicherheitsbehörden. Denn lange gaben sich die Identitären in Deutschland als Gruppierung rechter Hipster, stets darauf bedacht, ihre Gewaltlosigkeit zu betonen. Dieses Image bekommt nun Risse.
Schon zuvor hatten Identitäre auf der Frankfurter Buchmesse ein Handgemenge mit Gegendemonstranten provoziert. Auf einer Demonstration in Berlin lieferten sich Anhänger der Gruppierung Auseinandersetzungen mit der Polizei. Und nach einer Aktion vor dem Bundesjustizministerium wurde ein Identitärer mit Haftbefehl gesucht, weil er einen Polizisten mit einem Transporter fast umgefahren hatte.
Von der „Radikalisierung“ einiger Mitglieder sprach der Bundesverfassungsschutz schon vor einigen Wochen. Die „Widerstandsrhetorik“ der 400 Mitglieder zählenden Gruppierung habe zugenommen. Allein vom Frühjahr 2015 bis zum April dieses Jahres musste sich das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum der Sicherheitsbehörden 45-mal mit den Identitären beschäftigen.
„It’s okay to be white“
Vor allem das neue Identitären-Haus in Halle bereitet den Behörden Sorgen. Vor zwei Wochen feierten die Bewohner dort offiziell Einweihung. „It’s okay to be white“, hieß es auf Einlassarmbändern, den Rassismus kaum verhehlend. Man wolle ein „patriotisches Leuchtturmprojekt“ schaffen, kündigen sie an, „immer bereit, uns schützend vor unser Haus zu stellen“.
Tatsächlich attackierten zuletzt Autonome wiederholt das Haus – und die Identitären halten dagegen. Im November durchsuchte die Polizei die Räume, nachdem Anhänger der Gruppe Studenten in einer Mensa bedroht und dabei ein Messer, Pfefferspray und Quarzsandhandschuhe bei sich trugen. Vor einer „zunehmenden Emotionalisierung“ der Auseinandersetzung um das Identitären-Hauptquartier warnt das Innenministerium Sachsen-Anhalt: Es bestehe „die Gefahr einer Eskalation“. Inzwischen wird das Haus überwacht, wie die Stadt Halle bestätigt.
Tatsächlich ziehen die Identitären ihre Rhetorik weiter an. „Reconquista“ lautet der Schlachtruf der Gruppierung – „Rückeroberung“. Als „Kriegserklärung“ wurde schon früh die Einwanderung bezeichnet, die politische Gegenseite als ein „an Körper und Geist verrotteter Antifa-Haufen“.
Martin Sellner, Wortführer der Bewegung, sagte vor einer Woche auf der Konferenz des Rechtsaußen-Magazins Compact in Leipzig, man spreche derzeit von einer „Jagdstimmung“. Einer, „in der wir unser Volk und Land zurückholen“.
Und es sind nicht wenige Identitäre, die eine dafür einschlägige Vita haben – und früher bei der NPD-Jugend oder Kameradschaften mitmischten. Einer davon gehört zu den Anführern des Hauses in Halle. Mario Müller ist ein früherer Kameradschaftler, verurteilt wegen Körperverletzung. „Wir haben nicht den Eindruck, dass diese Leute ihre Ideologie beim Wechsel zu der Identitären-Bewegung an der Garderobe abgelegt haben“, sagte jüngst Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen.
Die Stadt Halle möchte die Identitären loswerden. Die Stadt unterstütze den friedlichen Protest gegen die Gruppe, sagte Bürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) der taz. „Das rechtsextreme Zentrum ist in der Stadt nicht erwünscht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Bestürzung und erste Details über den Tatverdächtigen
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!