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Debatte MobilitätVorfahrt für Radler!

Kommentar von Daniel Doerk

Die meisten Fahrradschnellwege befinden sich auf dem Land. Und Innenstädte gehören weiterhin dem Autoverkehr. Das muss sich ändern.

Die Umstellung der urbanen Mobilität auf Radverkehr wird nicht über Nacht zu bewerkstelligen sein Foto: dpa

F eierabendverkehr auf Osnabrücks Hauptstraßen: Die Autos stauen sich mal wieder, die Nerven der Fahrer liegen blank. Man sehnt sich auf die heimische Couch und tippt (verbotswidrig) auf dem Smartphone herum. Als mutiger Radfahrer hat man hier hingegen weitestgehend den Vorteil, dass – wenn auch nur ungenügende – Radfahrstreifen am Fahrbahnrand angelegt sind. Auf denen kommt man nämlich neben dem Autostau noch voran und verliert kaum Zeit.

Das ist praktisch für Radfahrer, zumindest staumindernd für Autofahrer und gut für Städte, die sich dem wachsenden Verkehr zunehmend hilflos ausgeliefert sehen. Noch sieht es in vielen Städten aber allzu oft anders aus. Wenn Radwege vorhanden sind, dann sind sie in schlechtem Zustand und werden regelmäßig von Querstraßen unterbrochen.

Dass der Radverkehr enorme Potenziale für stau- und abgasgeplagte Städte birgt, hat man Land auf, Land ab inzwischen erkannt. Hier und da realisieren die Kommunen inzwischen auch, dass das vorhandene Radwegenetz wenig einladend und kaum in der Lage ist, Menschen, die noch nicht Fahrrad fahren, eben davon zu überzeugen. Das soll sich in vielen deutschen Städten künftig ändern.

Das Zauberwort heißt Radschnellweg. Überall wird, wenn nicht geplant, zumindest mal laut nachgedacht, wo diese breiten, kreuzungsarmen, asphaltierten und exklusiv dem Radverkehr vorbehaltenen Wege den (städtischen) Verkehr entlasten könnten. Die Bundesregierung spendiert dafür seit Kurzem sogar 25 Millionen Euro jährlich – was allerdings noch viel zu wenig für einen effektiven Ausbau ist. Bei Kosten von durchschnittlich einer Million Euro pro Kilometer reicht die Summe eben auch nur für 25 Kilometer – in ganz Deutschland. Umgerechnet auf den Gesamthaushalt des Bundesverkehrsministeriums für das Jahr 2017 sind das übrigens knapp 0,1 Prozent.

Daniel Doerk

Daniel Doerk lebt in Osnabrück und wirbt für bessere Bedingungen für den Radverkehr. Er bloggt unter www.iswaf.de zu allem, was mit Fahr­rädern und Verkehrspolitik zu tun hat.

Ein erhebliches Umsetzungsdefizit

Noch ein kleiner Vergleich gefällig? Für den sechs Kilometer langen Radschnellweg, den die Stadt Osnabrück nach Belm bauen wird, fallen Kosten in Höhe von rund 7,5 Millionen Euro an, was durchaus Widerspruch hervorruft. Für die Kritiker des Radwegeausbaus sind die geschätzten 150 Millionen Euro für den zehn Kilometer langen A33-Lückenschluss in unmittelbarer Nähe hingegen offenbar nicht zu viel. Während für Autobahnen also gar nicht genug Geld ausgegeben werden kann, bleibt die Radschnellwegförderung des Bundes ein Tropfen auf den heißen Asphalt und wird als Alternative weiterhin stiefmütterlich behandelt.

Ein gutes Stück weiter ist das Ruhrgebiet. Zwischen Essen und Mülheim verläuft seit 2015 ein elf Kilometer langes Vorzeigestück Radschnellweg, das auf insgesamt 101 Kilometer ausgebaut werden und Pendlern zwischen Duisburg und Hamm eine Alternative zur chronisch verstopften A40 bieten soll. In Ländern wie Dänemark und den Niederlanden sind Radschnellwege schon lange Bestandteil des Radverkehrsnetzes. Auch Berlin und Hamburg haben mögliche Routen vorgestellt. Während die Hauptstadt zwölf Trassenkorridore auf dem Stadtgebiet untersucht, liegen die Schwerpunkte in Hamburg auf dem Umland und reichen bis nach Lüneburg und Stade.

In Innenstädten, wo die größten Flächenkonflikte liegen, scheint die Fahrbahn für Autos heilig zu sein

In der Region Hamburg enden die geplanten Radschnellwege aber an der Stadtgrenze und werden ins bestehende Netz überführt. Insofern verdeutlicht Hamburg ein Problem, vor dem viele Radfahrer in Deutschland stehen: Es gibt immer dann ein erhebliches Umsetzungsdefizit, wenn es in den urbanen Raum, also in die Städte geht. Entweder bedeutet dieser Übergang schlicht das Ende des Radschnellwegs. Oder er wird hier und da als Fahrrad- und Umweltverbundstraße weitergeführt. Radfahrer müssen sich die Fahrbahn dort also doch wieder mit anderen Verkehrsteilnehmern teilen. Das muss nicht automatisch ein Problem sein, schreckt unerfahrene Radfahrer aber doch wieder ab.

20 Kilometer auf dem Land kann jeder bauen

Für Städte sind solche Einschränkungen mit gemeinsamer Nutzung eine willkommene Ausrede für das eigentliche Problem: Sie wollen (und müssen) zwar möglichst viel Autoverkehr durch Radverkehr ersetzen. Die Infrastruktur tasten sie in der Regel aber nicht oder nur minimal an. In Innenstädten, wo der Verkehr am dichtesten ist, wo die Ziele der meisten Verkehrsteilnehmer und eben auch die größten Flächenkonflikte liegen, scheint die Fahrbahn für Autos heilig zu sein. Wo eine starke (Auto-)Lobby gewachsen ist, sich Strukturen jahrzehntelang verfestigt haben und nur der als zahlungskräftiger Kunde gesehen wird, der hochmotorisiert in die Innenstadt kommt, bleiben für Radfahrer bisher nur schmale Streifen am Rand oder gar auf Gehwegniveau, wo man sich den knappen Raum noch mit Fußgängern teilen muss.

So wird es aber nichts mit echter Radverkehrsförderung. Radschnellwege dürfen nicht dort enden, wo es anfängt, wehzutun. 20 Kilometer auf dem Land kann jeder bauen. An der Stadtgrenze darf dann aber nicht Schluss sein. Gerade hier verdichtet sich der Verkehr, wird der Platzbedarf größer. Man muss sich also fragen, ob zwei-, drei- oder gar vierspurige Straßen in der Stadt noch zeitgemäß sind und den Ansprüchen moderner Mobilität und Stadtplanung genügen. Oder ob man davon nicht eine Spur in einen breiten, komfortablen und geschützten Rad(schnell)weg umbauen kann. Wer den Radverkehr wirklich fördern will, muss den Raum hier neu verteilen. „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“, wusste der ehemalige Oberbürgermeister von München, Hans-Jochen Vogel, schon 1972. Diese Formel funktioniert auch bei Radfahrern: „Wer Rad(schnell)wege baut, wird Radverkehr ernten.“ Das Angebot bestimmt die Nachfrage.

Dafür braucht es Mut, keine Frage. Die Umstellung der urbanen Mobilität auf Radverkehr wird nicht über Nacht zu bewerkstelligen sein. Aber wer als Autofahrer wieder mal im Stau auf Osnabrücks Hauptstraßen steht und neben sich immer mehr Radfahrer auf einem komfortablen innerstädtischen Radschnellweg vorbeiziehen sieht, der wird sich vielleicht noch mal überlegen, wie er morgen zur Arbeit fährt.

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10 Kommentare

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  • Letztendlich wird man nur durch eine klare Trennung zwischen den verschiedenen Verkehrsarten voran kommen und auch nur wenn man die verschiedenen Verkehrsarten als gleichwertig behandelt. Natürlich müssen dabei entsprechende Ziele im Auge behalten werden. Und die sind vor allen eine Verminderung von Unfällen und eine Verringerung von Abgasen.

  • So zum Beispiel könnte in Hamburg-Altona mal ein Anfang gemacht werden: http://buergerinitiative-volkspark.de/bi-volkspark-fordert-radschnellweg-von-osdorf-zum-diebsteich/

    Leider wir so ein sinnvoller Vorschlag von Seiten der Stadt aber einfach als "zu schwierig" abgestempelt.

  • Das Problem:

    Fahre ich Auto sollen bitte die Autos Vorfahrt haben, weil Stau stehen ist ätzend.

    Fahre ich Rad, dann bitte Radvorfahrt.

    Und als Fußgänger möchte ich natürlich von den Schwachmaten im Auto bzw. auf dem Rad nicht umgefahren werden, also Vortritt für mich.

     

    Da es allen so geht:

    Gnadenlose Trennung der drei Mobilitäten. Geld rein ohne Ende, in der Reihenfolge:

    ÖPNV für lau (Entlastung Auto)

    Rad (Entlastung Auto)

    Auto

    Fuß

  • Radbahnen statt Autobahnen.

    Für Berlin wären zwölf Radschnellwege oder "Trassenkorridore" ein

    guter Anfang, sie würden innerhalb weniger Tage von

    den Hunderttausend Radfahrer*n hier angenommen. Aber was Deutschland in den letzten 30 Jahren an Zukunft verpasst hat, geht auf keine Kuhhaut. Allein meine Hausverwaltung hat schon versucht, die Radfahrer im Haus zu sabotieren und ihre Räder möglichst in den feuchten, bröckelnden Keller zu verbannen, hinter zwei Schlössern verriegelt - sehr unpraktisch, um mal kurz einzukaufen.

    Beim Thema Rad ist in der BRD (Kürzel für Beerdigung) immer nur gekleckert statt geklotzt worden. Ich benutze seit Jahrzehnten in der Stadt ein Auto extrem selten, auf dem Land leider zu oft:

    Als Dank dafür bin ich von Autofahrern zweimal mittelschwer körperlich verletzt worden, musste operiert werden. Vom täglichen Weghupen, von Falschparkern, extrem engen und holprigen Radwegen, ständigen Platten wegen weggeworfener Flaschen ganz zu schweigen. Die Politik hat hier auf der ganzen Linie versagt, die Grünen und Linken sind zu schwach, um sich bei den Steinzeitautofreaks von SPD und CDU Gehör zu verschaffen. Und die entsprechen einer Steinzeitwählerschaft: Bei jeder ARD-Sportschau gabs zum Tor des Monats ein Auto zu gewinnen.

  • Wie hat doch ein Nachbar Deutschland genannt: "Ein Land der Vegetarier und Radfahrer".

    • @Egon Olsen:

      Ein Traum :-).

      Weiß nicht wo sie wohnen, aber ihr Nachbar hat wohl eine stark selektive Wahrnehmung.

  • 8G
    84935 (Profil gelöscht)

    Und ich lebe am Schwarzwald-Rand. Da gibt es noch eine subtile Form der Ungleichbehandlung: Während für die Straße die Hügelkuppen zumindest ein paar Meter abgetragen werden, führt der parallele Radweg oft oben drüber. Ist auch sicherer, weil man dann weiter von der Strasse weg ist. Da wird einfach ein Feldweg zum Radweg erklärt und zur Steigung kommt noch der Dreck von den Traktoren hinzu. Vor der Einmündung in die Strasse(!) stehen dann Schilder, dass die Reifen der Traktoren gereinigt werden müssen. Kein Witz!

  • Auch in Augsburg sind die Radwege oft nicht optimal und ausbaufähig. Aber ich sehe es positiv: Radfahren, speziell e-biken, macht dennoch enormen Spaß; ich fahre in der Stadt nur noch Fahrrad!

     

    Das sollten wir in den Vordergrund stellen und fürs Fahrrad Werbung machen.

     

    Für den Ausbau der Radwege müssen wir uns organisieren und bei der nächsten Wahl die richtige Partei wählen

  • "...diese breiten, kreuzungsarmen, asphaltierten und exklusiv dem Radverkehr vorbehaltenen Wege..."

     

    Ich lebe in Köln und die Radwege die es hier gibt sind:

    a.) Von Baumwurzeln aufgebrochen

    b.) Mit Glasscherben überseht (insb. am Wochenende)

    b.) Zugeparkt oder

    c.) Werden von Autofahrern schlicht ignoriert zwecks "zweite Reihe" parken

     

    Es wäre zunächst einmal nötig, den Radweg den Gehwegen gleich zustellen, so dass ein Autofahrer, der auf dem Radweg fährt oder parkt, mit einer empfindlichen Geldstrafe bis hin zum Führerscheinentzug rechnen muss.

     

    Aber so etwas gilt in Köln als Kavaliersdelikt und wird gar nicht geahndet.

    • @Jens Frisch:

      Wenn man https://www.bussgeld-info.de/bussgeldkatalog-halten-parken/ glauben darf sind sie schon gleichberechtigt bei den Strafen: Parken auf Rad- oder Gehwegen kostet jeweils die gigantische Summe von 15 Euro!

       

      Die Strafen sind einfach viel zu lasch und lächerlich. Ich kann es - rein rational - eigentlich nicht mal einem Autofahrer übel nehmen, wenn er sich dort hinstellt: 15€ Strafe und wenn es hoch kommt bekommt man vielleicht bei jedem 5. Mal überhaupt einen Strafzettel macht lächerliche 3€ für den Parkplatz. Das wird in einigen Städte pro Stunde auf legalen Parkplätzen aufgerufen.

       

      Deutschland sollte endlich mal die Strafen anpassen wie überall im europäischen Ausland auch. Ich sehe das auch an mir selbst: Ich wohne an der schwizer Grenze und wenn cih dort fahre halte ich mich penibel an die Geschwindigkeitsbegrenzung, da es ansonsten schon bei 10kmh drüber sehr, sehr teuer wird. In Deutschland hingegen schert sich doch niemand über 20kmh mehr, weil wie viel kostet das Strafe? Vielleicht 20€? Das schreckt einfach niemanden ab.