Bildungsreform in der Ukraine: Kampfansage an die Minderheiten
Ab 2020 soll an Schulen nur noch auf Ukrainisch unterrichtet werden. Ungarn will deshalb Kiews Annäherung an die EU blockieren.
Entsprechend diesen neuen Regelungen können Kinder in Kindergärten und den ersten vier Klassen der Grundschulen bis 2020 in ihrer Muttersprache und der ukrainischen Sprache lernen. Ab der fünften Klasse wird nur noch auf Ukrainisch unterrichtet. In dieser Übergangszeit dürfen einzelne Fächer auch in Sprachen der EU unterrichtet werden. Nach einer Übergangsfrist muss 2020 der gesamte Unterricht in ukrainischer Sprache abgehalten werden.
Das neue Bildungsgesetz wurde von einer breiten Mehrheit im Parlament unterstützt. Lediglich die Fraktion des „Oppositionsblocks“ hatte dagegen gestimmt.
Das neue Bildungsgesetz, so Bildungsministerin Lilia Hrynewytsch, käme auch den nationalen Minderheiten zugute. Diese würden derzeit in fast allen Fächern in ihrer Sprache unterrichtet und besuchten lediglich einige Stunden Ukrainisch-Unterricht. In der Folge würden Kinder, die eine ungarische Schule abgeschlossen hätten, kaum Ukrainisch sprechen.
Ukrainisch stiftet Identität
Deswegen, so das Internetportal Ukrainska Prawda, seien ungarischsprachige Kinder derzeit benachteiligt, wenn sie außerhalb ihrer heimischen Region in der Ukraine eine weiterführende Bildungseinrichtung besuchen wollen.
In einer Fernsehdebatte erklärte die Abgeordnete Oxana Bilosir vom „Block Petro Poroschenko“, das neue Gesetz sei mit seiner Förderung der ukrainischen Sprache identitätsstiftend für die Ukraine und einige das Land.
Rechte von Minderheiten würden durch das neue Gesetz nicht verletzt, so die Befürworter, werde doch keine Minderheitensprache verboten. Man stelle lediglich fest, dass das Ukrainische Staatssprache sei und deswegen auch Unterrichtssprache sein müsse.
Olexandr Wilkul vom „Oppositionsblock“ sieht das anders. Das Bildungsgesetz sei ein politisches Gesetz, mit dem man um Wählerstimmen in der Westukraine werbe. Es sei nicht tragisch, wenn in einem Staat mehrere Sprachen nebeneinander existierten. In der Schweiz gebe es vier Staatssprachen, in Belgien drei.
Weg von Europa
Die Ukraine bewege sich mit diesem Gesetz nicht auf Europa zu, so Wilkul, sondern erinnere an einen nationalistischen Staat des 19. Jahrhunderts. Das Bildungssystem müsse dem Umstand Rechnung tragen, dass es regional große Unterschiede gebe. Man könne nicht für 400.000 Kinder Schulen schließen, nur weil dort nicht auf Ukrainisch unterrichtet werde.
Doch am meisten Widerstand gegen das neue Bildungsgesetz kommt aus dem benachbarten Ausland. In getrennten Erklärungen hatten Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Polen, Moldau und Russland das neue ukrainische Bildungsgesetz wegen dessen Einschränkungen für die Minderheiten scharf kritisiert.
In einer einstimmig verabschiedeten Resolution hatten alle Abgeordneten des ungarischen Parlaments das ukrainische Bildungsgesetz verurteilt. Man werde nun alles tun, um eine Annäherung der Ukraine an die EU zu blockieren, hieß es von Seiten der ungarischen Regierung. Aus Protest gegen das Gesetz sagte der rumänische Präsident Klaus Iohannis einen für nächste Woche geplanten Besuch in der Ukraine ab.
Doch es ist nicht ausgeschlossen, dass das Gesetz noch geändert werden könnte. Nach einem Gespräch mit Vertretern der EU-Botschaften, des Europarats und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am 15. September hatte die ukrainische Bildungsministerin Hrynewytsch angekündigt, die Ukraine werde dem Europarat das Bildungsgesetz zur Prüfung vorlegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands