Eurovision Song Contest in Kiew: Die Sängerin mit Handicap
Russland nimmt doch am ESC teil, mit einer Sängerin, die im Rollstuhl sitzt und seit 2015 mehrfach auf der Krim weilte. Das ist heikel für die Ukraine.

Probleme macht ihr seit der Nominierung aber ein anderes Handicap. Samoilowa hat mehrfach die seit 2015 von Russland annektierte Halbinsel Krim besucht. Die ukrainischen Behörden hatte sie darüber nicht informiert – und somit gegen Kiewer Gesetze verstoßen. Mehr als 140 russische Künstler dürfen seit dem Krieg in der Ostukraine nicht mehr die Ukraine besuchen. Wenn Samoilowa bei ihren Auftritten nichts zur Rechtmäßigkeit der Annexion gesagt habe, könne sie einreisen, hieß es zwar im Kiewer Innenministerium. Die endgültige Entscheidung steht aus.
Die Krim erhitzte schon beim letzten ESC die Gemüter. In Russland ist der Glaube weit verbreitet, dass die Ukraine 2016 nur wegen einer gegen Moskau gerichteten Verschwörung gewinnen konnte. Für die Ukraine sang die Krimtatarin „Dschamala“ das Lied „1944“. In jenem Jahr waren die Krimtataren von Moskau deportiert und nach Zentralasien zwangsumgesiedelt worden. Hunderttausende kamen ums Leben.
Mit der Nominierung einer behinderten Künstlerin präsentiert sich Moskau als humane und offene Gesellschaft. Noch entspricht dies aber nicht der Wirklichkeit. Bislang hat die Gesellschaft die Behinderten versteckt, war der Tenor in den sozialen Medien. Auch Samoilowa beklagte, dass viele Zuschauer sie wegen des Handicaps nicht auf der Bühne sehen wollten. Freude passe nicht zur Behinderung.
Böse Zungen vermuten, mit der Ernennung konnte Moskau nichts falsch machen. Wird der Sängerin die Einreise verweigert, fällt das auf Kiew zurück. Begegnet das Publikum ihr mit Vorbehalten, ließe sich auch das als inhuman und rückständig auslegen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“
Forscher über Einwanderungspolitik
„Migration gilt als Verliererthema“
Abschied von der Realität
Im politischen Schnellkochtopf