Urteil im Fall des Motorradrasers: Alpi T. ist kein Mörder
Wegen fahrlässiger Tötung hat das Landgericht Bremen den Motorradraser Alpi T. zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt
BREMEN taz | Das Landgericht Bremen hat den Motorradraser Alpi T. wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte den 24-Jährigen wegen Mordes angeklagt und nach einer Wende im Prozess in den Schlussplädoyers zumindest sieben Jahre und zwei Monate wegen Totschlags mit bedingten Vorsatzes gefordert. Der 24-jährige T. hatte mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit einen 75-jährigen Fußgänger überfahren. Zuvor hatte er seine halsbrecherischen Fahrten gefilmt und im Internet hochgeladen.
Die Richter im Mordprozess am Landgericht Bremen folgten mit ihrem Urteil weitgehend der Argumentation der Verteidigung. Nach Ansicht des Gerichts „kann in diesem Einzelfall kein bedingter Tötungsvorsatz festgestellt werden“, begründete der Vorsitzende Richter Jürgen Seifert das Urteil.
Die Mordanklage war nicht mehr haltbar, nachdem ein wichtiger Zeuge sich als nicht belastbar erwiesen hatte. Der nämlich hatte T. beschuldigt, vor dem tödlichen Unfall seinen Wagen gestriffen und beschädigt zu haben und anschließend geflohen zu sein. Ein Verkehrsgutachter stellte schließlich klar, dass der Unfall so nicht vorgefallen sein kann und der Wagen bereits zuvor Altschäden aufgewiesen hatte. Das Gericht schätzte den Zeugen als „dubios“ ein. Es gebe „hinreichende Hinweise auf Betrug“. Eine Unfallflucht von T. „ist nicht gegeben“.
Sogar die Videos, in denen der Verurteilte andere Verkehrsteilnehmer nach Fast-Unfällen teils heftig beschimpfte, bewiesen in der breite der dort getätigten Aussagen, dass T. bei seinen Fast-Unfällen geschockt gewesen sei und entsprechend auf „einen guten Ausgang vertraut habe“ – ein Indiz für fahrlässige Tötung. Bei Totschlag oder Mord mit bedingtem Vorsatz muss der Beschuldigte den Tod anderer billigend in Kauf nehmen, gemäß dem Gedanken: „Und wenn schon“ und eben nicht „es wird schon gutgehen“.
Es gibt für den Unterschied eine Faustregel: Hat der Angeklagte bei der Tat gedacht „es wird schon nichts passieren“, ist es Fahrlässigkeit. Dachte er „und wenn schon“, kann man von Vorsatz ausgehen.
Auf fahrlässige Tötung steht eine Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, für Mord gibt es lebenslänglich.
Für eine Anklage auf Mord oder Totschlag braucht es immer einen Vorsatz. Die Staatsanwaltschaft ging in diesem Fall davon aus, dass T. den „Tod anderer billigend in Kauf genommen habe“. Der Angeklagte habe mit seiner riskanten Fahrweise Geld verdient. „Er hat seinen Spaß über Menschenleben gestellt“, sagte auch der Nebenklageanwalt.
Die Verteidigung argumentierte, es gebe keinen Vorsatz, weil der Angeklagte im „jugendlichen Leichtsinn“ gehofft habe, „dass alles gutgehen würde“. Er habe „die tatsächliche Gefahr unter- und seine eigenen Fähigkeiten überschätzt“, sagte Armin von Döllen, der Anwalt von Alpi T.
Kein Tötungsvorsatz, sondern Einsicht und ein Geständnis
„Schnelles Fahren sei zwar eine gefährliche Handlung, aber keine eigentliche direkte Gewalthandlung“, sagte Seifert in seiner mündlichen Urteilsbegründung. Hinzu käme die nachweisliche Vollbremsung – derzufolge der Verurteilte auf einen guten Ausgang vertraut habe. Strafmildernd habe sich ausgewirkt, dass T. tiefe Reue gezeigt habe und „vom Glauben abfiel“ als er vom Tod von Arno S. erfahren habe.
Zwar belegten die Videos von T. eine Reihe von Regelverstößen. Durch die „Summierung von Regelverstößen kommt man jedoch nicht zum Tötungsvorsatz“, erläutert Seifert.
Zugute sei T. gekommen, dass er vor Gericht geständig und einsichtig gewesen sei. Allerdings seien beim Urteil auch generalpräventive Gesichtspunkte zum Tragen gekommen: „Das PS-Protzen muss ein Ende haben“, sagte Seifert, der T. auch für vier Jahre den Führerschein entziehen lässt. „Die Staatsanwaltschaft hat die Tat mit der Mordanklage zu Recht auf den Prüfstand gestellt“, sagte er.
Demnach wäre das Urteil deutlich anders ausgefallen, wenn T. tatsächlich Fahrerflucht begangen oder die Fahrt gefilmt hätte. Zum Tatzeitpunkt war die sichergestellte Kamera ausgeschaltet. Auch könne man in anderen Fällen womöglich einen Vorsatz feststellen, wenn ein Unfall während eines illegalen Straßenrennens passiere. „Das war hier aber nicht der Fall“, sagte Seifert.
Tatmildernd sei zudem, dass den 75-Jährigen „ein gewisses Mitverschulden“ trifft, weil er bei rot über die Straße gelaufen ist und aufgrund von einem Alkoholgehalt im Blut von 1,1 Promille möglicherweise das hörbare Motorengeräusch nicht wahrgenommen habe.
Vor dem Urteil hatte Alpi T. das letzte Wort und sagte: „Herr S. hat eine große Bedeutung in meinem Leben eingenommen. Ich habe ihn nur eine Sekunde gesehen, aber für mich ist er nicht gesichtslos. Ich werde ihn nie vergessen.“
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