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NSU-Opferanwalt über Beate Zschäpe„Sie ist vollkommen unglaubhaft“

Sebastian Scharmer hält wenig von Zschäpes Einlassung. Der Anwalt im NSU-Prozess rechnet mit einer Höchststrafe für sie.

„Was soll das denn für eine Entschuldigung sein?“, sagt Sebastian Scharmer Foto: dpa
Konrad Litschko
Interview von Konrad Litschko

taz: Herr Scharmer, erstmalig hat Beate Zschäpe im NSU-Prozess selbst ausgesagt und die Terrortaten verurteilt. Halten Ihre Mandanten das für glaubwürdig?

Sebastian Scharmer: Nein. Frau Zschäpe leugnet die eigene Tatbeteiligung – und das vollkommen unglaubhaft. Inhaltlich neu war ihre Stellungnahme heute auch nicht. Einzig neu ist, dass sie selbst gesprochen hat. Das zeigt, dass sie durchaus in der Lage ist, sich selbst im Prozess zu erklären. Fragen der Verletzten und Hinterbliebenen der Mordopfer will sie dennoch nicht beantworten. Was soll das denn für eine „Entschuldigung“ sein?

Warum spricht sie jetzt?

Zschäpe steht mit dem Rücken zur Wand. Der Prozess geht zu Ende. Ihre verschiedenen Verteidigungsstrategien scheinen alle gescheitert. Sie will nun persönlich deutlich machen, dass sie sich von den Taten zumindest heute distanziert. Das könnte auch dazu dienen, die mögliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach einer lebenslangen Strafe zu verhindern.

Zschäpe distanziert sich auch von ihrem früheren rechten Gedankengut. Ist das glaubhaft?

Nach der bisherigen Beweisaufnahme hat Zschäpe 13 Jahre lang ein Leben im Untergrund geführt und durch die Deckung ihrer Mittäter die Morde und Anschläge mit ermöglicht. Noch 2011 hat sie die Bekenner-DVDs verschickt. Ihre bisherigen Erklärungen dafür im Prozess sind konstruiert, widersprüchlich und teilweise absurd. Warum sollte man ihr nun ausgerechnet glauben, dass Sie sich von ihrer neonazistischen Weltanschauung verabschiedet hätte?

Im Interview: Sebastian Scharmer

1977 geboren, vertritt als Anwalt im NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe die Tochter des 2006 in Dortmund ermordeten Kioskbesitzers Mehmet Kubaşik als Nebenkläger. Scharmer ist seit zehn Jahren Rechtsanwalt und spezialisiert auf Straf- und Verfassungsrecht.

Ansonsten bleibt Zschäpe dabei: Alle Taten gingen auf das Konto von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, sie habe von den Morden nichts gewusst. Halten Sie das für plausibel?

Alle bisher von ihrem Anwalt verlesenen Erklärungen haben die zahlreichen Widersprüche nicht entkräftet, auch die heutige nicht. Im Gegenteil: Die Angaben sind immer weniger glaubhaft geworden. Wer noch einen Restglauben an ihre bisherigen Angaben hatte, hat auch diesen heute verloren.

Mit welchem Urteil also rechnen Sie für Zschäpe?

Nach dem bisherigen Stand der Beweisaufnahme war Zschäpe zum Zeitpunkt des Untertauchens überzeugte Nationalsozialistin. Sie wusste von den Raubüberfällen und von den Morden, wenn auch angeblich immer erst im Nachhinein. Sie hat die Bekenner-DVD versandt und die gemeinsame konspirative Wohnung nach 13 Jahren im Untergrund in die Luft gejagt. Diese Beweislage dürfte eine Verurteilung wegen der Beteiligung an den Morden und Anschlägen wohl stützen. Und bei Mord sieht das Gesetz eine lebenslange Freiheitsstrafe vor.

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21 Kommentare

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  • Hoffentlich werden endlich weitere Prozesse gegen die KKK EWK Mitglieder in der süddeutschen Polizei angestrengt - Yavuz Narin sprach von einer Liste von 20.

    und gegen die weiterhin vorhandenen Blood & Honour Strukturen.

  • Ich hoffe immer noch, dass Frau Zschäpe der Gerechtigkeit auch in Erwartung der Höchststrafe einen Dienst zu erweisen bereit ist und wirklich redet. Ob der deutsche Staat das dann auch wollte, bezweifle ich. So doppelt versiegelt werden sich meine Hoffnungen wohl nicht erfüllen.

    • @lions:

      Genau das ist der Punkt. Abgesehen vom Interesse an der Minimierung ihrer Strafe hat Frau Zschäpe eventuell auch den Wunsch, die Sache zu überleben. http://www.taz.de/!5275907/

      • @jhwh:

        Die Mordopfer hatten eventuell auch den Wunsch, zu überleben. Frau Zschäpe hätte ihnen das in mindestens neun Fällen ermöglichen können.

        • @Rainer B.:

          ... da besteht kein Dissens.

  • Das einzig Bemerkenswerte war, dass die Meldung "Zschäpe redet" als "Sondermeldung" durch die Medien raste. Damit wird der Sache eine Bedeutung gegeben, die sie nicht hat.

  • Natürlich ist sie nicht "glaubhaft". Das liegt aber bereits in der Tatsache, dass sie vorher mit ihren Anwälten zurechtgetrimmte Aussagen vorliest. Eine Angeklagte ist nicht verpflichtet, die Wahrheit zu sagen. Sie wird sich also so verhalten, dass ihre Strafe minimiert wird. Bei spontanen Antworten mit Nachfragen lassen ihre Reaktionen Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt zu. Sie könnte sich bei Lügen z.B. in Widersprüche verwickeln.. Bei der verlesenen Aussage fällt diese Kontrollmöglichkeit weg - und es wird kein Zufall sein, dass sie die Aussagen verlesen will.

    Was hinter den Kulissen geschieht, wissen wir nicht. Es ist aber klar, dass es hier nicht um eine einzelne Straftäterin handelt, sondern um Straftaten, in die der Verfassungsschutz verwickelt ist und bei denen weitere bisher nicht genannte Mittäter_innen wahrscheinlich sind. Wer hier aktiv bei dieser Schmierenkomödie mitspielt und wem hier mitgespielt wird, können wir von außen nicht beurteilen. Nur eines ist klar - die Wahrheit lässt sich allenfalls zwischen den Zeilen lesen.

    • @Velofisch:

      Der Anwalt - "…Im Gegenteil: Die Angaben sind immer weniger glaubhaft geworden.…"

       

      Klar - der - Mann versteht sein Handwerk - gell Herr Litschko!;)(

      • @Lowandorder:

        Klägeranwalt in einem Neonaziprozess zu sein, der sein Handwerk versteht, ist ja auch nicht strafbar - im Moment jedenfalls noch nicht.

        • @Rainer B.:

          Ok - dann mal en detail -

           

          "NSU-Opferanwalt über Beate Zschäpe

          „Sie ist vollkommen unglaubhaft“ -…"

          ist auch nicht strafbar, nein -

          Noch nicht -;) - aber Journaille -

          Gelinde gesprochen!

           

          Denn der Anwalt hat das

          a) nicht gesagt - weil er nämlich -

          b) sein Handwerk versteht - weil -

          c) Angaben glaubhaft sein können oder eben nicht - aber & nur -

          d) Personen glaubwürdig sind oder

          eben nicht & diese Unterscheidung

          e) kein Beckmesserei ist - Nein -

           

          Sondern all dieses sind - ja genau - Grundbedingungen jeglicher Beweiswürdigung in gerichtlichen Verfahren.

          Das aber sollte ein Journalist nach mehrjähriger Prozeßbeobachtung

          Kapiert haben & die verantwortliche Redaktion - sorry - Ebenfalls!

           

          kurz - Bei so einem mehrfach groben Mißgriff -

          Muß schlicht der Griffel abbrechen!:((

  • Rache ist süß. Die Opfer dürfen sowas wie Sicherungsverwahrung fordern.

     

    Aber ob sie in 10 bis 15 Jahren noch wirklich gefährlich ist, man dann erwarten muss, dass sie weiter mordet, erscheint doch schon heute eher fraglich.

    • @TazTiz:

      Die ist gefährlich und die war keine Randfigur in der Neonazi-Szene. Hätte sie am Anfang des Prozesses sich distanziert und kooperiert, könnte man darüber sprechen, aber so ist die Sache klar: Erstmal den Mund halten, niemanden belasten (der nicht schon belastet ist) und schön unklar bleiben. Das steht so übrigens in einer Gewaltfibel von Blood and Honor drinnen, die das Trio garantiert gelesen hat. Und so laufen in Europa auch zig Prozesse gegen solche Menschen ab. Zschäpe hatte geglaubt, dass sie mit ihrer Tour, ich bin das kleine Frauchen, durchkommt. Das wird schwer. Sie hat ja auch Menschen verprügelt und sich ganz bewusst in der Szene an den radikalsten Rand gesetzt. Und ihre bisherigen Ausführungen weisen sie als eine der Top-Vertreterinnen der rechtsextremen Szene aus.

    • @TazTiz:

      "Rache" ist weder eine rechtsstaatliche Option, noch Sinn und Zweck einer Sicherungsverwahrung. Die Opfer im engeren Sinne sind tot und die Nebenkläger fordern doch überhaupt keine "Rache", sondern wollen vor allem wissen, warum und wofür ihre Angehörigen denn eigentlich ermordet wurden.

    • @TazTiz:

      "Weiter mordet"? Hat sie überhaupt gemordet?

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Und wenn nicht, wieso verschickt sie dann Bekennervideos?

        • @Rainer B.:

          Was auch komisch ist warum erst zum Schluss die Bekennervideos??

           

          Macht doch keinen Sinn wenn man nicht sofort die Bekennervideos rausschickt, mir ist auch keine ähnliche Terrorgruppe bekannt die nicht sofort sich zu ihren Taten bekannt hat darum gehts ja eigentlich beim Terrorismus.

  • Und bitte Sicherheitsverwahrung. Das ist hier angebracht, weil man sich nicht sicher sein kann, wie sie zur Szene heute steht. Außerdem ändern man so eine Meinung, die man im Untergund so lange aufrechtgehalten hat, auch nicht einfach. Dazu hätte sie im Prozess auch kooperieren können - das wäre für die vielen Opfer sehr hilfreich gewesen, aber davon kann absolut keine Rede sein. Deswegen hoffe ich darauf, dass die Richter diese Frau für immer aus dem Verkehr ziehen. Ob sie gefährlich ist, diese Frage stellt sich doch gar nicht. Nur: Wie gefährlich?

    • @Andreas_2020:

      Lebenslang bedeutet: Auf unbestimmte Zeit, mindestens jedoch 15 Jahre. Es bedeutet auch, dass man dem Verurteilten die Fähigkeit, sich zu ändern, auf Dauer abspricht. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht im Juni 1977 folgendermaßen geurteilt:

       

      "Einem Verurteilten muss die grundsätzliche und gesetzlich festgeschriebene Möglichkeit eingeräumt werden, irgendwann die Freiheit wiederzuerlangen. Allein die Möglichkeit der Begnadigung nach z. B. 30 oder 40 Jahren Haft reicht dazu nicht aus. Dies gebieten […] das Rechtsstaatsprinzip und die Menschenwürde." (BVerfGE 45, 187, 253 ff.)

       

      Dem NSU war die Menschenwürde scheißegal. Genau das macht bis heute den Unterschied zwischen ihm und Humanisten aus. Aber 1977 ist schon eine Weile her. Es hat sich viel getan seither. Vor allem dreht die Welt sich immer rascher rückwärts. Gut möglich, dass die Humanisten ihren Feinden heute sehr viel ähnlicher sind als noch vor ein paar Jahren. Zumindest in diesem spektakulären Fall, in dem so viele lautstark nach Vergeltung brüllen. In diesem Fall scheint Hass ja legitim zu sein.