Nach der Asylrechtsverschärfung: Syrer sind oft keine Flüchtlinge mehr
46 Prozent aller Syrer in Deutschland erhalten nur noch subsidiären Schutz und können ihre Familie nicht nachholen. Laut Pro Asyl hat sich die SPD verschätzt.
Pro Asyl sieht darin den „Ausdruck politischer Einflussnahme“ auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das über Asylanträge entscheidet. Die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte wurde im Asylpaket festgehalten, das am 17. März inkraft trat. Flüchtlingsorganisationen und Kirchen hatten diese politisch lang umstrittene Regelung scharf kritisiert.
Das Bundesamt bestätigte, dass seit dem Asylpaket Anträge syrischer Flüchtlinge nicht mehr im schriftlichen Schnellverfahren entschieden werden. Danach bekamen Syrer in der Regel Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Seit Mitte März wird nun wieder jeder Einzelfall geprüft.
Die Entscheidungspraxis hat sich seitdem offensichtlich sehr verändert. Machten im Januar Entscheidungen für subsidiären Schutz nur 0,4 Prozent, im März 1,8 Prozent aller beendeten Verfahren aus, waren es im April bereits 9,3 Prozent, im Juni nun 23,4 Prozent. Dies ist eine starke Veränderung auch gegenüber der Zeit vor dem großen Andrang vom letzten Sommer, als die schriftlichen Verfahren erst eingeführt wurden. Im ersten Halbjahr 2015 wurde der subsidiäre Schutz auch nur in 0,6 Prozent der Fälle vergeben.
Parallel dazu gehen Anerkennungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention aktuell zurück: Im Januar wurde der Schutzstatus noch bei 63,1 Prozent der Entscheidungen vergeben, im April bei rund der Hälfte (48,6 Prozent). Im Juni machten diese Anerkennungen nur noch ein gutes Drittel (36,5) der Entscheidungen aus. Der Anteil abgelehnter Asylanträge blieb dabei monatlich auf gleichem Niveau.
Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten Asylbewerber, wenn sie aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe verfolgt werden. Wenn diese Art der Verfolgung nicht gegeben ist, aber dennoch im konkreten Fall Gefahr für Leib und Leben etwa durch Krieg droht, wird subsidiärer Schutz gewährt. Rechtlich waren beide Schutzgruppen in Deutschland nahezu gleichgestellt. Durch die Aussetzung des Familiennachzugs ergibt sich inzwischen aber ein gravierender Unterschied.
SPD rechnete mit weit weniger Fällen
Pro Asyl erklärte, es stelle sich nun als falsch heraus, dass insbesondere die SPD davon ausgegangen sei, es würden nur wenige Syrer von der Aussetzung des Familiennachzugs betroffen sein. Damals war von einigen hundert Fällen die Rede. Allein im Juni waren aber 12.090 Fälle betroffen, davon laut Pro Asyl mehr als 10.000 Syrer.
Das Bundesinnenministerium fühlt sich wiederum in der Entscheidung bestätigt, wieder Einzelfallprüfungen anzuweisen. Das Bundesamt beobachte, dass bei syrischen Flüchtlingen „vermehrt ein Bürgerkriegsschicksal, aber kein individuelles Verfolgungsschicksal vorliegt“, sagte ein Sprecher. Dies führe nach geltenden Recht nicht zu Asyl oder Flüchtlingsschutz, sondern eben zu subsidiärem Schutz. Die Wiederaufnahme von Anhörungen sei eine „angemessene Entscheidung“ gewesen.
Nach Angaben des Auswärtigen Amts wurden zwischen Januar 2015 und März 2016 in den Auslandsvertretungen der Region rund 30.000 Visa für den Familiennachzug an Syrer erteilt. Zahlen für das zweite Quartal 2016 liegen noch nicht vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin