piwik no script img

Protestaktion „Ende Gelände“Dem Kraftwerk geht die Kohle aus

Tausende Demonstranten schneiden in der Lausitz ein Kraftwerk vom Nachschub ab. Betreiber Vattenfall muss es herunterfahren.

Hier kommt kein Zug mehr durch: Zufahrtsgleis in der Lausitz Foto: dpa

WELZOW taz | Als die Polizei am Abend direkt vor dem Braunkohlekraftwerk „Schwarze Pumpe“ doch noch die Schlagstöcke herausholt, dampft nur noch einer der beiden Kühltürme wie zuvor. Aus dem anderen steigt fast kein Dampf mehr auf. Das ist das Zeichen: Das Kraftwerk fährt nicht mehr auf voller Leistung, weil der Nachschub an Kohle knapp wird. Auch ein Vattenfall-Sprecher bestätigt: Die Leistung des Kohlekraftwerks sei vorsorglich heruntergefahren worden, „um vorerst mit den Reserven auszukommen“. Die AktivistInnen, die im Rahmen der Aktion „Ende Gelände“ seit Freitag die Zufahrtswege zum Kraftwerk an vielen Stellen blockiert halten, wollten genau das erreichen: das Ende der Kohleverbrennung. Zumindest hier, an diesem Wochenende. Sie wollen erzwingen, dass das Kraftwerk die Verbrennung komplett einstellen muss.

Dass dieser Konflikt die Gesellschaft spaltet, war am Wochenende zunächst kaum zu bemerken. Wo immer die Kohle-GegnerInnen auf die Schienen gingen, stießen sie kaum auf Widerstand. Polizei und der Werkschutz von Vattenfall waren bis zum Samstagabend kaum zu sehen – dabei hatten die Aktivisten bereits am Freitagmittag mit teils spektakulären Protestaktionen begonnen.

Zunächst waren hunderte von ihnen in einen Tagebau bei Welzow eingedrungen. Dutzende besetzten dort auch über Nacht zwei Radschaufelbagger. Vor allem hatten die Besetzerinnen und Besetzer es allerdings auf die Schienennetze rund um das Kraftwerk abgesehen. Auf einem Schienenstück bei Roggosen hatten sich vier Personen mit einer Betonpyramide verbarrikadiert. Zwei von ihnen verketteten ihre Arme in einem unter den Gleisen verlegten Stahlrohr. Zwei andere in einer darüber positionierten Betonpyramide. Die Polizei musste die Gleise zersägen. Auch 24 Stunden später war die Barrikade noch nicht geräumt.

Auch auf zahlreichen anderen Gleisabschnitten entstanden Blockaden. Mehrere hundert Menschen besetzten die zentrale Verladeanlage, mit der die Kohle aus dem Braunkohletagebau auf die Züge geladen wird, die zum Kraftwerk fahren. Auch hier ging die Polizei selbst nach 24 Stunden nicht gegen die Besetzer vor. Sie haben auf und rund um die Verladeanlage Schlafplätze errichtet. Manche schlafen auf dem Förderband selbst.

Weitere Schienenabschnitte wurden am Samstag in unmittelbarer Nähe zum Kraftwerk von über 1.000 Menschen besetzt. Auch als eine Gruppe auf den Schienen direkt bis zum Kohlebunker auf dem Kraftwerksgelände ging, passierte nichts. Und so steht – Bilanz Samstagabend – dieser Polizeieinsatz kurz davor, als defensivster Einsatz in der deutschen Protestgeschichte einzugehen. Selbst viele Demonstranten waren überrascht von der zurückhaltenden Einsatztaktik, die unter Innenministern noch für Gesprächsstoff sorgen dürfte. Denn: Sie ging weitestgehend auf. Es gab keinen einzigen brennenden Strohballen, keinerlei Anzeichen von Gewalt – wie es ein Lausitzer Bündnis in der gesamten Region als Warnung hatte auf Plakate drucken lassen.

Erst nachdem am Nachmittag mehrere hundert AktivistInnen durch einen zerstörten Zaun direkt aufs Kraftwerksgelände marschiert waren, drehte sich die Stimmung. Als sie das Gelände bereits wieder verlassen hatten, attackierten Polizei und Werkschutz einzelne Aktivisten. Bei den Festnahme-Versuchen wurden mehrere Personen verletzt. Etwa 100 AktivistInnen wurden schließlich von der Polizei eingekesselt. Was mit ihnen geschieht, war am frühen Abend noch unklar. Ihnen wird laut Polizei schwerer Landfriedensbrch vorgeworfen. Mehr Details nannte eine Sprecherin zunächst nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Zeitmanagement, sie meinen wie in Venezuela? Sie können nicht gleichzeitig aus Atom und Kohle aussteigen. Energieintensive Industrie geht nach China und das Prekariat nimmt zu.

  • Das Ergebnis ist, Deutschland wird deindustrialisiert da Energie zu teuer, und die Produktion wird nach China verlagert, wo die übelsten Stinker stehen. Deindustrialisiert heißt auch, es gibt mehr prekäre Arbeitsverhältnisse. Und die Kohle kann nur mit Putins Gas ersetzt werden. Denn wir brauchen Strom für Spitzenzeiten und wenn kein Wind weht.

    • 1G
      1714 (Profil gelöscht)
      @Gabriel Renoir:

      [...]

       

      Kommentar gelöscht. Bitte unterlassen Sie Unterstellungen.

    • @Gabriel Renoir:

      Gabriel Renoir: Falsch und kurzsichtig gedacht!

       

      Hier das realistischere Szenario: Nachdem das sogenannte Schland als eine der ehemals führenden Industrienationen den erfolgreichen Ausstieg aus Kohleverbrennung und Kernspaltung geschafft hat, werden andere Nationen den Erfolg und die positiven Effekte sehen. Das sogenannte China und das sog. Russland werden früher oder später genauso auf erneuerbare Energien setzen.

       

      Was bleibt uns allen mittelfristig auch für eine Wahl? Keine, abgesehen von der Kernfusion. Und die braucht noch ein paar Jahrzehnte +/-.

       

      Außerdem kann man "Spitzenzeiten"(lol) vermeiden. Das ist kein großes Problem, sondern ein kleines.

      Zeitmanagement ist nämlich etwas, dass wir als Menschheit in den letzten Jahrzehnten auf Millisekunden und in gigantischer Komplexität und Masse nahezu perfektioniert haben.

      • @bonus bonus:

        Die Frage ist erstmal, wer leidet unter der Klimaerwärmung. Nordeuropa eher nicht.

      • @bonus bonus:

        "Das sogenannte China und das sog. Russland werden früher oder später genauso auf erneuerbare Energien setzen."

         

        Im Moment setzt China wohl auf neue und alte Energien gleichzeitig. Noch immer wird dort alle zehn Tage ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb genommen. Global gesehen macht das die Kämpfe gegen die letzten Reste dieser Technologie bei uns so sinnlos...

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Gabriel Renoir:

      Oh, Mann!

      Wie kann Angsthasen wie Ihnen geholfen werden?

      Informieren!

      • @571 (Profil gelöscht):

        Wir haben die AfD und Trump eben aus dem Grund: Das Prekariat, die unterbezahlten Jobs aufgrund der Deindustrialisierung.

      • @571 (Profil gelöscht):

        Oh, Mann!

        Wie kann Träumern wie Ihnen geholfen werden.

        Zurück in die Realität!

        • @Thomas_Ba_Wü:

          "Denn wir brauchen Strom für Spitzenzeiten und wenn kein Wind weht."

          Zur Info: Ein Kohlekraftwerk ist ein GRUNDlastkraftwerk, kein Spitzenlastkraftwerk.

          • @Mrc:

            Braunkohlekraftwerke lassen sich auch wie ein Mittellastkraftwerk regeln. Problem ist außer Gas gibt es keine schnell veränderbare Kraftwerke.