Rechtsextreme Brüderschaft: Vereint gegen die Anderen
Im Norden rückt die rechte Szene zusammen. Die Kritik an der Asyl- und Flüchtlingspolitik macht frühere Grabenkämpfe vergessen.
HAMBURG taz | Rechtsextreme profitieren von der kontroversen Debatte um die Asyl- und Flüchtlingspolitik: Bei Aufmärschen und Aktionen ist auch im Norden zu beobachten, dass die Szene von NPD über Freie Kameradschaften und rechten Hooligans bis zu Pegida-Anhängern gemeinsam agiert. „Die rechte Szene rückt gegenwärtig enger zusammen“, sagt Samuel Salzborn, Professor an der Universität Göttingen.
„Bei der aktuellen Flüchtlingsfeindlichkeit überlappen sich zwei Themenfelder, die in der rechten Szene zentral sind: der wahnhafte Glaube an eine Verschwörung in Medien und Politik gegen das Volk und der Rassismus“, sagt Salzborn, der zum Rechtsextremismus forscht.
Der Konkurrenzkampf zwischen den unterschiedlichen Strömungen, von dem die rechtsextreme Szene eigentlich geprägt ist, trete zurzeit in den Hintergrund, sagt Salzborn. Die Verschwörungs- und Rassismusvorstellungen ließen „Grabenkämpfe zumindest vorübergehend in den Hintergrund treten“, sagt der Wissenschaftler.
Wegen der anstehenden rechtsextremen Kundgebungen im Norden haben politische Bündnisse schon zu mehreren Gegendemonstrationen aufgerufen.
In Boizenburg gibt es am 23. Oktober ab 18 Uhr eine Gegenkundgebung. Für Hamburg ist der Treffpunkt die S-Bahn Station Sternschanze. Für alle ohne Auto fahren von dort um 16 Uhr Busse. Infos unter: http://bit.ly/1RYEvJA
In Wismar sind am 24. Oktober Gegenaktionen sowie ein Fest mit Geflüchteten geplant. Infos unter: http://bit.ly/1jD2gvv oder http://bit.ly/1MV1nto
In Bad Fallingbostel laden Gewerkschaften, Parteien und Verbände am 24. Oktober um 10 Uhr zu einer Demo gegen die NPD ein. Treffpunkt ist vor dem Rathaus. Infos unter: http://bit.ly/1OUDJgX
Labels werden verwischt
Robert Schiedewitz, ein Mitarbeiter der Landesweiten Opferberatung in Mecklenburg-Vorpommern (Lobbi) beobachtete zudem, dass die Organisatoren von Demonstrationen und Kundgebungen bewusst ihre Labels verwischten – und etwa das NPD-Logo vom Plakat abschnitten.
Am Donnerstag wurde ein vertraulicher Lagebericht des Bundeskriminalamts (BKA) bekannt, der bestätigt, dass das „sehr heterogene rechtsextremistische Spektrum“ hier einen „ideologischen Konsens“ gefunden habe.
In den kommenden Tagen haben verschiedene Parteien und Organisationen weitere Aktionen angekündigt: Am Freitagabend will MVgida – vor allem getragen von der NPD – erneut in Boizenburg aufmarschieren. Am Samstagvormittag plant die NPD Niedersachsen in Bad Fallingbostel unter dem Motto „Asylflut stoppen“ eine Kundgebung.
Gegenproteste sind angekündigt. In Wismar will die Szene unter dem Label „Wismar wehrt sich“ erneut am Samstagnachmittag auflaufen. „XY wehrt sich“ sei ein neuer Namenstrend, der rechtsextreme Urheber und Strukturen verschleiern solle, sagt Schiedewitz.
Szene profitiert von Grundstimmung
In Norddeutschland gebe es eine große Willkommenskultur, aber eben auch das stetige Anwachsen von Gegenprotest, sagt Wissenschaftler Salzborn. Die Präsidentin des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, Maren Brandenburger, gibt ihm Recht: „Wir dürfen uns von diesen sehr guten Beispielen nicht den Blick darauf verstellen lassen, dass Rechtsextremisten durch die Flüchtlingssituation Aufwind haben“, sagt sie. Die Szene habe zwar keinen großen personellen Zulauf, sie profitiere aber von der Grundstimmung.
Auch Lobbi-Mitarbeiter Schiedewitz beobachtete, dass die Szene in den vergangenen Wochen deutlich an Zuspruch gewonnen habe. Die Rechtsextremisten fühlten sich bestätigt, weil ihre Haltung bei Menschen Widerhall fände, die sich eigentlich nicht zum rechtsextremen Spektrum zählten. „Es findet eine Verwischung der Grenzen statt“, sagt Schiedewitz.
In ihrer Sorge und ihren Vorurteilen vor Geflüchteten stünden offen bekennende Rechtsextreme und vermeintlich besorgte Bürger gemeinsam auf der Straße. Die Demonstranten störten sich nicht mehr an den Rechten.
BKA rechnet mit weiteren Aktionen
Diese Entwicklung hat für Salzborn einen Ausgangspunkt: „Das zentrale Problem ist, dass man mit Gruppierungen wie der AfD oder Pegida diskutiert – und nicht über sie.“ So lange Rassismus als diskutierbar dargestellt werde, so lange könne das auch immer wieder rassistische Gewalttäter motivieren, ist Salzborn überzeugt.
In den Nordbundesländern gab es bereits Übergriffe auf Geflüchtete und Anschläge auf Einrichtungen. In Boizenburg, wo NPD und MVgida aufmarschieren wollen, brannte am 11. Oktober die geplante Unterkunft nieder.
Das BKA rechnet mit weiteren Aktionen – von Blockaden bis Gewalttaten. Viele Märsche sind im Norden schon angemeldet: Am 31. Oktober etwa will die AfD in Hamburg gegen das „Asylchaos” aufmarschieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies