RWE-Tagebau Garzweiler blockiert: Widerstand in der Mondlandschaft

Hunderte DemonstrantInnen bringen die Bagger beim Tagebau Garzweiler zum Stillstand. RWE antwortet mit einer Massenanzeige.

Demonstranten blockieren einen Braunkohlebagger

Der Kohlebagger war vorübergehend stillgelegt Foto: dpa

ERKELENZ taz | Es ist eine Szenerie wie in einem Science-Fiction-Film: In einer mondartigen Sandlandschaft, die unterhalb einer steilen Abbruchkante bis zum Horizont reicht, sitzen und liegen zwischen Förderbändern und riesigen Schaufelradbaggern Hunderte Menschen in weißen Schutzanzügen. Die meisten sind an den Händen gefesselt, viele haben tränende Augen, einige bluten am Kopf. Umstellt sind sie von Polizisten, von denen immer mehr auf der Ladefläche von weißen Jeeps herangefahren werden.

Am frühen Samstagmorgen hatten sich mehr als 1.000 Menschen auf den Weg gemacht zu einer Aktion, die es in Deutschland in dieser Form lange nicht gegeben hat. Mit angekündigtem zivilem Ungehorsam wollten sie unter dem Motto „Ende Gelände“ die Bagger im Braunkohle-Tagebau Garzweiler westlich von Köln besetzen, um gegen die damit verbundene Landschaftszerstörung und Klimagefahren zu protestieren.

Der Plan ging auf: Trotz eines Aufgebots von mehr als 1.000 Polizisten und obwohl eine Autobahn das Camp der AktivistInnen vom Tagebau trennte, schaffte es der Großteil der Menschen in die Tagebau-Grube. Einige Gruppen durchbrachen dabei Polizeiketten, andere liefen über die Autobahn, nachdem diese wegen einer Kletteraktion an einer Brücke von der Polizei gesperrt worden war. Drei der sieben Bagger im Tagebau standen wegen der Aktion stundenlang still. Ein großer Teil der DemonstrantInnen wurde anschließend zudem in Besucherbussen von RWE vom Gelände gefahren, eskortiert von der Polizei.

Kritik übte Mona Bricke, eine der Sprecherinnen des Bündnisses „Ende Gelände“ am Vorgehen der Polizei, die friedliche DemonstrantInnen mit Schlagstöcken und Pfefferspray angegriffen habe. Sechs AktivistInnen kamen mit schwereren Verletzungen ins Krankenhaus.

1.600 Einwohner sollen umgesiedelt werden

In der Region stößt die Aktion auf ein geteiltes Echo. Direkt neben der Mondlandschaft des Tagebaus liegen derzeit noch idyllische Ortschaften, mit Backsteinhäusern, kleinen Vorgärten und Kirchen. Bald soll auch das alles Krater sein. 7.600 Menschen in 12 Ortschaften mussten für den Tagebau Garzweiler bereits umgesiedelt werden. Für weitere fünf Orte im Raum Erkelenz mit 1.600 EinwohnerInnen ist die Umsiedlung ebenfalls beschlossen.

In einem davon, dem Dorf Immerath, findet am Samstag parallel zur Grubenbesetzung eine Demonstration mit rund 800 TeilnehmerInnen statt. Unter ihnen sind auch einige Bewohner der Region. Andere haben sich mit ihrem Schicksal abgefunden, denn die Menschen in den betroffenen Orten werden bei der Umsiedlung finanziell vom Konzern entschädigt, die Dörfer als zusammengehörende Gemeinden an anderer Stelle wieder aufgebaut. Aus Borschemich wird Neu-Borschemich, aus Immerath Neu-Immerath.

„Für die jungen Leute im Dorf ist die Umsiedlung kein Problem“, berichtet Holger M., ein 58-Jähriger aus Kuckum, wo die Umsiedlung bereits läuft. „Die können mit dem Geld von RWE ganz neu anfangen, die hängen nicht so an der Gegend.“

Garzweiler gehört zum Rheinischen Braunkohlerevier. Das Abbaugebiet erstreckt sich zwischen Bedburg, Erkelenz und Mönchengladbach.

In der Lagerstätte Garzweiler II liegen in bis zu 210 Metern Tiefe insgesamt 1,3 Milliarden Tonnen Braunkohle. Rund 40 Millionen Tonnen will RWE dort noch bis zum Jahr 2045 jährlich fördern.

Umweltschützer kritisieren dies, weil für den Abbau ganze Dörfer weichen müssen und Landschaften zerstört werden.

Zudem ist Braunkohle der klimaschädlichste Energieträger.

Für die ältere Generation allerdings bedeutet die Umsiedlung einen enormen Kraftaufwand – körperlich und emotional. „Wir haben es mit Demonstrationen und sogar mit Menschenketten versucht“, erzählt der Kuckumer. „Am Ende hat es nicht geklappt. Es ziehen einfach nicht alle mit.“

Angst um den Arbeitsplatz

RWE ist im Rheinland einer der größten Arbeitgeber. „Es gibt einfach keine anderen Jobs hier“, erzählt ein 38-Jähriger aus Erkelenz. „Alle meine Freunde arbeiten bei RWE. Wer eine andere Stelle möchte, muss zum Arbeiten weiter wegfahren.“ Die Proteste der Braunkohle-AktivtistInnen bedeuten für viele von ihnen eine Bedrohung ihrer Arbeitsplätze.

Der Konzern selbst reagiert mit juristischer Härte auf die Aktion. Alle Menschen, die das Betriebsgelände betreten hätten, würden wegen Hausfriedensbruch angezeigt, sagte eine Sprecherin.

Auch Journalisten, die die Besetzung und Räumung des Tagebaus aus der Nähe verfolgt haben, müssen nach Angaben von RWE mit einer Anzeige rechnen. Daneben würden Schadenersatzansprüche geprüft. Insgesamt sind nach Auskunft der Polizei bisher 797 Strafverfahren eingeleitet worden.

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