Verfassungsschutzbericht für 2014: Das Amt mit dem 360-Grad-Blick
Die Zahl rechtsextremer Gewalttaten in Deutschland ist im vergangenen Jahr stark gestiegen. Gegenstrategien fehlen, doch die Behörde ist mit sich zufrieden.
Besonders im Fokus der Rechtsextremen stehen Unterkünfte für Flüchtlinge. Bei der Vorstellung des Berichts nannte Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Zahlen „mehr als erschreckend“. 170 Angriffe im vergangenen Jahr und bereits 150 in der ersten Jahreshälfte 2015 – nicht mitberechnet Attacken, denen kein fremdenfeindliches Motiv zugeordnet wurde. Körperliche Angriffe auf Flüchtlinge listet der Bericht nicht auf. Die Amadeu Antonio Stiftung spricht jedoch von 81 Attacken im vorigen Jahr.
De Maizière appellierte, es dürfe „kein stilles Verständnis für Gewalt gegen Flüchtlinge geben“ – konkrete Ideen, wie die Entwicklung zu stoppen ist, konnten allerdings weder der Minister noch Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen präsentieren. Als Erfolg des Bundesamts bezeichneten beide die Aufdeckung der mutmaßlich rechtsterroristischen Vereinigung „Oldschool Society“ im Mai. Hierfür sei eine „Whatsapp-Gruppe aufgeklärt“ worden, erklärte Maaßen stolz.
Bei der Aufklärung von „elektronischen Angriffen“ gelte de Maizière zufolge der neue „360-Grad-Bilck“. Das bedeutet: Auch die Spionage befreundeter Staaten solle vom Verfassungsschutz geprüft werden. Im aktuellen Bericht schlägt sich diese Offenheit noch nicht nieder. Der Spionage bezichtigt werden hier namentlich China, Iran und Russland. Für eine Überwachung durch die NSA gebe es hingegen „keine Anhaltspunkte“, so BfV-Präsident Maaßen.
Bedrohlicher Islamismus
Die größte Bedrohung für Deutschland bleibe der Islamismus, ist sich Maaßen sicher. Sorgen bereiten demnach die deutlich steigenden Zahlen von Personen mit „salafistischen Bestrebungen“ und die etwa 700 Personen, die bislang nach Syrien ausgereist seien und von denen sich ein Drittel wieder in der BRD befinde.
Wenig Aufregendes hat das Amt im Bereich Linksextremismus festgestellt. Die Erkentnisse: Straf- und Gewalttaten sanken um 1,5 beziehungsweise 10,4 Prozent, Blockupy sei schlimm, Elmau gut gewesen.
Vor dem Haus der Bundespresekonferenz, wo der Bericht vorgestellt wurde, demonstrierten Mitglieder der Gruppe „Naturfreunde Berlin“ gegen den Verfassungsschutz. Erschienen waren sie in szenetypischem Outfitt, mit Lodenmantel, Schlapphut und Sonnenbrille. In einer kleinen Performance brachen sie einen mit Ketten gesicherten Panzerschrank auf, aus dem sie das “dunkle Kapitel“ der Behörde hervorholten: eine Akte über die Verwicklung des Inlandsgeheimdienstes in die NSU-Mordserie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste