Anklageschrift gegen Beate Zschäpe: Kompendium des Grauens

488 Seiten und 1.654 Fußnoten stark ist die Anklageschrift gegen Beate Zschäpe. Die Bundesanwaltschaft glaubt, dass sie für immer weggesperrt werden könnte.

Angeklagt: Ermittler haben Videoaufnahmen von Beate Zschäpe für Zeugengegenüberstellungen erstellt. Bild: screenshot

BERLIN taz | Die Bundesanwaltschaft hält Beate Zschäpe für hochgefährlich. So gefährlich, dass sie in den Augen der Karlsruher Ankläger nach verbüßter „lebenslanger“ Haftstrafe mit Mitte 50 oder Anfang 60 weiter weggesperrt bleiben könnte.

Bei Zschäpe lägen die Voraussetzungen für die Anordnung einer Sicherungsverwahrung vor: So steht es in der von Generalbundesanwalt Harald Range unterschriebenen Anklageschrift gegen die 1975 in Jena geborene Rechtsextremistin und vier Mitangeschuldigte. Es ist ein Mammutwerk mit 488 Seiten und 1.654 Fußnoten. Der Kern der Anklage war schon vor zehn Tagen öffentlich gemacht worden. Dennoch liest sich die komplette Schrift wie ein Kompendium des Grauens.

Die drei mutmaßlichen NSU-Mitglieder Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe seien aufeinander eingeschworen gewesen und hätten sich als ein „einheitliches Tötungskommando“ verstanden, heißt es dort. Das Ziel: durch Hinrichtungen und Anschläge eine so große Angst unter Migranten zu verbreiten, dass diese auswandern.

Das Vorgehen der Terroristen sei dabei „arbeitsteilig“ gewesen: Während Mundlos und Böhnhardt raubend, mordend und bombend durchs Land zogen, sei die heute 37-jährige Zschäpe vor allem dafür verantwortlich gewesen, die Legenden des 13 Jahre in der Illegalität lebenden Trios aufrechtzuerhalten und die Kasse des NSU zu verwalten.

Als Mittäterin angeklagt

Die „Managerin des Geldes“ nannte sie eine Zeugin. Gleichwohl habe Zschäpe „die Taten als eigene“ gewollt, so die Ankläger, und sei an der Planung und Vorbereitung der Morde und Überfälle beteiligt gewesen. Zschäpe ist daher als Mittäterin angeklagt, was juristisch gleich schwer wiegt, als ob sie selbst geschossen hätte.

Als ein Indiz, dass sie von den Morden des NSU wusste, wertet die Bundesanwaltschaft ein Handy. Es war laut einer im Schutt des letzten NSU-Unterschlupfs in Zwickau gefundenen Notiz für „Aktionen“ vorgesehen, sei also bei den Taten benutzt worden. Vor einem der Morde in München, so glauben die Ermittler, habe Zschäpe von einer Telefonzelle in Zwickau Mundlos oder Böhnhardt auf dem Handy am Tatort angerufen.

Bei einer weiteren Tat, dem Mord an Ismail Yasar in Nürnberg 2005, soll Zschäpe laut einer Zeugenaussage sogar in unmittelbarer Nähe des Tatorts gewesen sein. Die Verteidiger von Beate Zschäpe bezweifeln das. „Der Beweiswert dieser Aussage ist gleich null“, sagte einer ihrer drei Anwälte, Wolfgang Heer, der taz.

Tödlicher Hass gegen „Alis“

Als Beleg, dass Zschäpe und die beiden Männer schon vor dem Untertauchen eine „von Hass getragene Gewaltbereitschaft gegen Ausländer“ verinnerlicht gehabt hätten, nennt die Bundesanwaltschaft den 1998 gefundenen Text „Alidrecksau wir hassen Dich“. In dem heißt es: „Wer sagt das wäre zu gemein, der soll es sehen das Türkenschwein! Er plündert, raubt und wird dann frech, doch heut’ noch stirbt er, so ein Pech.“ Die Garage, in der die Hassbotschaft lag, war von Zschäpe angemietet worden.

Nach dem Abtauchen hätten die drei Neonazis dann im Laufe des Jahres 1998 eine Terrorgruppe gegründet, für die sie spätestens 2001 den Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ verwendet hätten. Im Jahr 2002 hätten sie dann einen Brief an mögliche Sympathisanten erstellt. Mindestens an die Verantwortlichen von zwei Neonaziheften, den „Weissen Wolf“ und den „Fahnenträger“, wurde dieser auch verschickt. „Sieg oder Tod“ hieß es in dem Brief.

Vor ihren Morden und Anschlägen legten die NSU-Terroristen laut Anklage umfangreiche Adressdatenbanken an. Darin fanden sich türkische, islamische und jüdische Einrichtungen sowie Flüchtlingsheime, aber auch Anwälte, hochrangige Beamte und Politiker unterschiedlichster Parteien. Auf insgesamt 10.116 Namen und Objekte mit möglichen Anschlagszielen kommen die Ermittler.

Konkreteres spähten die Neonazis dann vor Ort aus. „Killer“ hieß ein Verzeichnis, das sie am PC erstellt hatten. Im Unterordner „Datenbank Aktion wichtig“ fand sich Kartenmaterial von Nürnberg; an einem von Hand eingezeichneten Punkt, einem Döner-Imbiss, schlugen die Terroristen dann tatsächlich zu.

Völkisch-rassistische Motivation

Auch zu möglichen Zielen in anderen Städten hatten sie sich auf ausgedruckten Plänen Notizen gemacht. Sie zeigen, wie exzessiv Mundlos und Böhnhardt im Land umherreisten und Gebäude auskundschafteten. „Gutes Objekt, guter Sichtschutz, sehr guter Weg von dort weg“ notierten sie zu einem Imbiss in Dortmund. „Person gut, aber alt (über 60)“, hieß es dagegen über den Inhaber eines türkischen Ladens.

Dies belege eindrücklich die völkisch-rassistische Motivation der NSU-Terroristen, heißt es in der Anklage. Denn offenbar sei es ihnen nicht nur darum gegangen, Migranten zu ermorden; als Opfer seien vorzugsweise Männer ausgesucht worden, bei denen es noch wahrscheinlich gewesen wäre, dass sie (weitere) Kinder zeugten.

Aus der Reihe an Migranten-Morden fällt lediglich der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn. Sie wurde nach Ansicht der Ankläger von den NSU-Terroristen als Repräsentantin der verhassten Staatsgewalt ermordet.

20 Schusswaffen und 1.600 Patronen fanden die Ermittler im Schutt des Hauses in Zwickau und in dem Wohnmobil, in dem Mundlos und Böhnhardt im November 2011 tot aufgefunden wurden. Bei der Übergabe einer dieser Waffen war Zschäpe laut einer Zeugenaussage mit dabei. Und auch für den „letzten propagandistischen Akt“ des NSU sei sie verantwortlich gewesen, so die Bundesanwaltschaft. Nach dem Tod ihrer beiden Kumpanen habe Zschäpe die zynische Bekenner-DVD des Trios verschickt, wie Fingerabdrücke auf einem der Umschläge belegten.

Zschäpe schweigt zu den Vorwürfen, und wird dies voraussichtlich auch weiter tun. Da die Anklagevorwürfe „auf einer Vielzahl von reinen Vermutungen“ basierten, gebe es keine ernsthafte Alternative zu dieser Verteidigungsstrategie, sagte ihr Anwalt Heer der taz. Die Begründung für eine Mittäterschaft Zschäpes bei den Morden bewertet er „als ausgesprochen dünn“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.