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Flugzeugabsturz von Ustica 1980Zusammenbruch des Lügengebäudes

Mehr als 30 Jahre nach dem Itavia-Abschuss muss Italien 110 Millionen Euro Entschädigung zahlen. Die Zivilmaschine wurde von Nato-Kampffliegern abgeschossen.

Das rekonstruierte Wrack der abgestürzten DC-9 im Jahr 1996 – 16 Jahre nach dem Abschuss über Ustica. Bild: dpa

ROM taz | Mehr als 30 Jahre nach dem Flugzeugabsturz von Ustica wird der italienische Staat endlich die Angehörigen der ums Leben gekommenen 81 Personen mit 110 Millionen Euro entschädigen. Italiens höchstes Gericht, der Kassationshof in Rom, befand am Montag, das Flugzeug sei eindeutig von einem Nato-Kampfflieger mit einer Rakete abgeschossen worden.

Definitiv verwarf damit der Kassationshof die Theorie, auf die sich Italiens Regierungen zurückgezogen hatten: Danach war der Absturz wegen Materialermüdung oder wegen einer Explosion an Bord erfolgt.

Von Bologna nach Palermo war am Abend des 27. Juni 1980 die Passagiermaschine der Fluglinie Itavia unterwegs, als sie um 20.59 Uhr nordöstlich der Insel Ustica plötzlich vom Radar verschwand.

„Materialermüdung“ – eilig verkündeten Italiens Behörden die vorgebliche Unglücksursache, noch ehe überhaupt Untersuchungen erfolgt waren. Die Wrackteile nämlich lagen in 3.000 Meter Tiefe und wurden erst Jahre später geborgen.

Es waren die Opferangehörigen und einige misstrauische Journalisten – unter ihnen der damalige taz-Korrespondent Werner Raith –, die sich mit dieser Erklärung nicht zufriedengaben.

Nato-Flieger auf Jagd

Schnell wurde deutlich: An jenem Abend hatte sich über dem Tyrrhenischen Meer zwischen Korsika und Sardinien im Westen und dem Festland im Osten ein wahres Kriegsszenario abgespielt, auf der einen Seite diverse Nato-Mächte, auf der anderen Libyen. Etwa 15 französische, britische, italienische und US-Jagdflieger waren in der Luft, während über Elba eine Awacs-Boeing kreiste. Einige der Jagdflieger befanden sich in unmittelbarer Nähe des Passagierflugzeuges, als es abstürzte.

Doch Italiens Regierung leugnete hartnäckig. Radaraufzeichnungen standen angeblich nicht zur Verfügung, da die Radars zufällig gerade zum Unglückszeitpunkt ausgeschaltet gewesen seien, hieß es zum Beispiel.

Tote Zeugen

Aber einige der in den militärischen und zivilen Radaranlagen Beschäftigten redeten – mit dramatischen Folgen. Mehr als ein Dutzend Zeugen des Unglücks sollten in den Folgejahren unter mysteriösen Umstanden ums Leben kommen, darunter zwei Piloten der Kunstflugstaffel „Frecce tricolori“, deren Maschinen 1988 bei einer Flugschau in Ramstein kollidierten.

Jenes Unglück forderte 70 Tote, unter ihnen der Pilot Ivo Nutarelli, der sich während der Katastrophe von Ustica im Einsatz befunden hatte – und der gerade erklärt hatte, er werde aussagen.

Dennoch gelang es Untersuchungsrichter Rosario Priore in jahrelanger Puzzlearbeit, das Szenario von Ustica zu rekonstruieren. Seine These: Nato-Jäger waren an jenem Abend unterwegs, um ein Flugzeug mit Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi abzuschießen. Der aber entkam; stattdessen wurde die Itavia-Maschine vor Ustica von der Rakete getroffen.

Systematische Spurenverwischung

Vor der Strafgerichtsbarkeit kamen die von Rosario Priore wegen systematischer Spurenverwischung angeklagten italienischen Luftwaffengeneräle noch davon: Eine für Strafsachen zuständige Kammer des Kassationshofes machte sich im Januar 2007 die These zu eigen, eine Explosion an Bord habe den Absturz herbeigeführt, und sprach alle Angeklagten frei.

Die Zivilkammer des Kassationshofes kam jetzt dagegen zu einem diametral entgegengesetzten Urteil. In den Augen der Richter ist eindeutig bewiesen, dass sich über Ustica eine Luftschlacht abspielte.

Der italienische Staat habe seine Pflicht verletzt, die Sicherheit der Passagiere zu gewährleisten; deshalb seien das Verkehrs- und das Verteidigungsministerium zu den hohen Entschädigungszahlungen verpflichtet.

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18 Kommentare

 / 
  • A
    Ameise

    Das Flugtag-Unglück Ramstein wäre eine nach-Frage wert, wünscht uns eine, die es aus nächster Nähe mit er-lebt hat. Wie die auf diese Seite kam: Diskussion über Verschwörungstheorien beim gestrigen Abendessen; dann zuerst über http://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Raith (1940-2001) gestolpert und dann in den obigen Beitrag. Als Impulsgeber für Kühne Rechercheure empfiehlt sich sein Buch von 1999, Absturz über Ustica

  • D
    David

    Ich würde mir wünschen, dass man in Zukunft nicht immer nur lächelnd abwinkt und Leute, die nach der Wahrheit suchen, mit dem Etikett "Verschwörungstheoretiker" abstempelt. Bereits die Verwendung dieses Wortes zeugt von einer Verschleierungstaktik durch einen ad hominem Angriff und sollte aufhorchen lassen. Anstatt die Fakten zu prüfen, logische Schlüsse zu ziehen und Argumente aufzustellen, wird einfach der Überbringer der Hypothese als Spinner dargestellt. Es sollte jetzt auch langsam klar werden, dass Geheimdienste und militärische Organisationen per Definition Verschwörungen sind, die meist alles dransetzen kompromittierende Informationen samt Trägern verschwinden zu lassen und daher mit unserem Begriff von Demokratie nicht zu vereinbaren sind. Journalisten müssen endlich ihrer Aufgabe nachkommen zu recherchieren und Ungereimtheiten öffentlich zu machen.

  • MH
    Marco Hoffmann

    "

    Aus Kreisen der Polizei hieß es, der tödliche Sprung habe etwa eine Viertelstunde nach Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Möllemann im Bundestag stattgefunden. Die Staatsanwaltschaften Düsseldorf und Münster hatten anschließend begonnen, an verschiedenen Orten im Bundesgebiet Büros und Wohnräume des früheren FDP-Politikers zu durchsuchen. Die Aktion wurde nach dem Tod Möllemanns sofort beendet.

    "

    http://www.sueddeutsche.de/politik/moellemanns-sprung-in-den-tod-und-dann-hat-er-den-hauptschirm-abgeworfen-1.804329

     

    Legt man nicht üblicherweise auffordernd eine pistole auf den schreibtisch und sagt, das sei die beste lösung für die angehörigen? Hat danach eigentlich jemand möllemanns hinweis auf die nähe der fdp zu 18 (adolf hitler) weiterbetrieben? Gibt es hinweise im schuhmuseum?

  • R
    Reimender

    Tage nach dem Abschuss stand im "Neuen Deutschland" ein Bericht, der eigentlich schon Klarheit schaffte.

  • DR
    Dr. rer. nat. Harald Wenk

    Kleinste Knospen der "nach" Berlusconi: Justizazustschaltung und totaler "Privatiserung des STaates" zu seiner Cliqure Zwecken, "_ÄRA" ? Die GEHEIMEN Freimauerlogen, viel höhere als Breivik, hatte Berlusconi auch dabei!!! Und die TV Hypnsoemedien!!!

     

    Die Staatsvergöztterung, Gouvernmentalität und Untertatenmenralität ist auch im "formal" postfschsistchen Italien quicklebendig.

     

    Warunm so nachsichtig mit dem Sttasterrorismus? Ach, gerde kein anderer zur Hand, verstehe.

  • P
    Peter

    Ob das Geld wirklich bei den Betroffenen ankommt sei dahin gestellt.

    Werden abgeschossenen Waffen/Raketen schriftlich erfasst? NATO in Mordanschlag und Vertuschung verwickelt?

     

    Italien fällt interessante Urteile.

    "Corriere della Sera

    Ein Gericht in Rom hat das italienische Verteidigungsministerium zur Zahlung einer Entschädigung von 545.000 Euro an Gianbattista Marica verurteilt.

    Der Soldat war nach einem achtmonatigen Einsatz in Somalia am Hodgkin-Lymphom erkrankt. Verantwortlich für die Erkrankung ist laut den behandelnden Ärzten radioaktives Material, das durch den Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran herrührt.

    Depleted-Uranium-Munition wurde während des Aufenthaltes Maricas in Somalia in der Zeit von 1992 bis 1993 verwendet."

    Und die EU subventioniert aus dem Agrartopf eine deutsches Beschussfeld einer Militärschmiede.

     

    "Mann stelle sich mal vor, man hätte da bei Gaddafi noch Unterlagen darüber gefunden..." aus dem Grund werden Bunker Buster oder wie bei den Stasiunterlagen CIA Agenten eingesetzt.

  • P
    Pit

    Der geplante Mord an Gaddafi und der Abschuss eines libyschen Flugzeugs scheinen schon Normalität in dieser Gesellschaft zu sein. Mord an Personen die das Kapital stören ist nichts erwähnenswertes mehr.

     

    „Als die Nazis die Kommunisten holten,

    habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.

    Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,

    habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.

    Als sie die Gewerkschafter holten,

    habe ich nicht protestiert; ich war ja kein Gewerkschafter.

    Als sie die Juden holten,

    habe ich nicht protestiert;

    ich war ja kein Jude.

    Als sie mich holten,

    gab es keinen mehr, der protestierte.“

     

    Pastor Martin Niemöller

  • OR
    Opa Rodenwald

    Ghaddafi selbst hat die Attentatsversion mal in einem Interview bestätigt. Siehe hierzu das Buch "Terrorjahre" von Regine Igel.

     

    Etwas anderes als die Attentatsversion hätte nicht die großangelegte Säuberungsaktion unter den Mitwissern gerechtfertigt.

  • AS
    Aron Sperber

    Das Zivilgericht von Palermo hat einfach das alte Urteil des Strafrichters Priore recycled, obwohl dieses vom Obersten Strafgerichtshof aus Mangel an Beweisen aufgehoben worden war.

     

    http://aron2201sperber.wordpress.com/2013/01/28/neues-urteil-ohne-neue-beweise/

     

    Nun wurde das neue Urteil vom Obersten Zivilgerichtshof bestätigt, obwohl seit dem Urteil des Obersten Strafgerichtshof kein einziger neuer Beweis aufgetaucht ist.

  • MM
    Mirko Malessa

    "Seine These: Nato-Jäger waren an jenem Abend unterwegs, um ein Flugzeug mit Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi abzuschießen. Der aber entkam; stattdessen wurde die Itavia-Maschine vor Ustica von der Rakete getroffen. "

     

    Mann stelle sich mal vor, man hätte da bei Gaddafi noch Unterlagen darüber gefunden...

  • MA
    Monsieur Achie

    Nach der Entscheidung der Richter darf man nicht naiv sein und glauben, so was kann nur Italien passieren. Es kann in Frankreich und in Deutschland auch passieren. Demokratie gilt nur für bestimmte Klasse, nicht für alle. Ich hätte von der italienische Regierung und von Nato auch erwartet. Hallo Leute es tun uns leid. Uns ist einen Fehler passiert. Wir haben den den Flugzeug abgeschossen. Das wäre demokratisch und vorallem gegenüber der angehörigen der Opfer anständig. Genau das haben ja deutschen in Afganistan auch getan. Erst haben sie alles beleugnet. Dann haben Sie behauptet es gibt keine zivilisten unter den Toten. Das sind die Talibanen. Als rauskam, dass die Kinder unter den Opfer sind, musste die Bundesregierung zugeben, dass sie Fehler gemacht und zivilisten abgeschossen haben. Warum denn erst so show dann doch zu geben.

    Also, demokratie gewährt kein Schutz vor der Regierungen und Nato.

  • S
    spiritofbee

    Einmal mehr zeigt sich, daß in Grenzfällen "demokratisch gewählte" Regierungen keine wirkliche Verlässlichkeit besitzen.

    Schon gar nicht wenn es um Nato- bzw. Militärinteressen geht. Dies gilt auch immer öfter für schwerwiegende Wirtschaftsvergehen

    Wir sollten uns alle bewußt sein, daß wir nicht nur in vielen "nebulösen" Fällen sorgsam konstruierte Lügen aufgetischt bekommen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit öfter als wir ahnen.....

    Geheimdienstakten bleiben vielerorts halt mindestens eine Generation und länger für die Bevölkerung verschlossen, bzw. viele sind kaum noch aufzufinden nach all den Jahren.

    Meinen größten Respekt vor der Zähigkeit des Untersuchungsrichters Rosario Priore.

    Falls es jemals für wirklich aufklärende Justiz/Richter mal einen alternativen Nobelpreis geben sollte, er wäre einer meiner Favoriten.

  • EF
    Evi Finken

    Wäre noch die Frage, welcher Nationalität der Soziopath (Damals sagte man noch: Psychopath) angehört(e), der "mit heldhaftem Mut zur Verteidigung des freien, demokratischen Westens" - oder so ähnlich - die 81 unschuldigen Menschen ermordete.

    Ich tippe auf einen VS-Amerikaner. Das würde passen.

  • UM
    Ullrich Mies

    Die größten Lügenhunde sitzen immer in den Regierungen, die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte wurden immer von Regierungen begangen. Das größte Verbrechen heisst Krieg.

     

    Mal schauen, wie lange es dauert, bis die Mär von 11/9 ans Tageslicht gelangt, als eine Verbrecherregierung bereits einige Stunden nach der Tat "wusste", dass die Teppichmesser schwingenden Islamoterroristen die (alleinigen) Bösewichte waren.

  • S
    Sebastian

    Im Übrigen:

     

    Wieviele Verschwörungtheorien werden eigentlich noch wahr?

     

    Mal sehen wie lange sich die Story vom 11. September oder die offizielle Versionen des WK 1 u. 2 noch halten lassen können.

     

    Sämtliche Akten der Alliierten dazu sind geheim.

     

    Selbst Dinge die den ersten Weltkrieg betreffen:

     

    Versenkung der Lusitania.

  • S
    Sebastian

    Das ist nur die Spitze des Eisberges.

     

    Bekommen dann auch die Opfer von Rammstein Entschädigung wo man die zwei beteiligten Piloten mit manipulierten Höhenmesser ineinander krachen liess?

     

    http://de.wikipedia.org/wiki/Flugtagungl%C3%BCck_von_Ramstein#Vermutung_einer_Verschw.C3.B6rung

     

    Fast alle Leute, auch einige Generaele, die mit dem Vorfall zu tun hatten sind "gestorben" (Autounfall, Herzanfall, Aufgehangen) und ebenso die beiden Piloten in Rammstein.

     

    http://de.wikipedia.org/wiki/Itavia-Flug_870#Todesf.C3.A4lle_im_Umfeld_des_Absturzes

     

    Zitat:

     

    "Am 20. März 1987 wurde der Luftwaffengeneral Licio Giorgeri, Radarexperte und Mitglied des Flugleitstabes, der sich in der Absturznacht in einer PD 800, einem Spezialflugzeug für elektronische Kriegführung, über Ustica befand, von einem sogenannten Terrorkommando Unione combattenti comunisti erschossen. Später stellte sich heraus, dass der Anführer des Mordkommandos vom Innenministerium bezahlt worden war"

     

    Wenn das mal rauskommen sollte hat die Nato fertig.

     

     

     

    Soll sich die Taz mal an dem Fall verbeissen?

     

    Wir wollen endlich die Wahrheit wieso über 70 Zivilisten sterben mussten um etwas zu vertuschen.

     

    Das idt die Pflicht der Medien!!!

  • F
    flipper

    Passt prima zu dem was sich in den 80ern so in Europa und ganz besonders in Italien abspielte (Stichwort GLADIO, aber auch Oktoberfestanschlag). Und man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um anzunehmen, dass das allenfalls die Spitze des Eisbergs an Schweinereien ist, welche die "demokratischen" Staaten der "freien Welt" getrieben haben, um uns vor den bösen Kommunisten zu "beschützen".

     

    Aber dass staatlich organisierte Vertuschung auch heutzutage noch bestens funktioniert - hat? - sieht man ja hier zu Hause (das Kürzel NSU muss man da wohl gar nicht mehr extra aussprechen).

  • MM
    Markus Müller

    Wow,das kann man nur als ungewöhnlich bezeichnen,dass einmal die Wahrheit ans Tageslicht kommt.Allerdings fast 33 zu spät.Und das nachdem anscheinend großzügig zur Vertuschung gemordet wurde.

    "Oh,what a wonderful world!"