Tilo Jung zum Frauentag: Naiv war gestern
Tilo Jung twittert zum 8. März eine sexistische Bilderserie. Dafür wird er im Netz bestraft. Krautreporter will Konsequenzen ziehen.
Am Ende hat er es mit Selbstgeißelung versucht: „Am Weltfrauentag – via Instagram – als Mann einer Frau in den Rücken zu treten, ist symbolische Selbstverbrennung“, twitterte Tilo Jung Montagmittag. „Symbolische Selbstverbrennung“, das klingt schön blumig für das, was seit Sonntag im Netz über den Journalisten und Macher vom Webvideoformat von „Jung und Naiv“ herzieht. So als hätte er es kommen sehen, als hätte er die Empörung bewusst verursacht.
Über Instagram hatte er eine Bilderserie veröffentlicht, die von hinten eine Frau im Bikini am Strand zeigt. Erst greift sie nach einer Männerhand, um zum Meer zu laufen. Im nächsten Bild tritt ein behaartes Männer-Bein ihr in den Rücken, sie stolpert und fliegt in den Sand. Jung schrieb unter die Bilder „Women's Day“. Mittlerweile hat er das Bild aus seiner eigenen Timeline gelöscht, Screenshots davon gibt es aber noch.
Nun ist Tilo Jung nicht dafür bekannt, besonders kluge oder differenzierte Positionen zu vertreten. Im Gegenteil: Sein selbsgewähltes Markenzeichen ist Naivität. Das hat er sich selbst gegeben und war damit zunächst ganz erfolgreich. Für „Jung und Naiv“ trifft er Politiker und stellt naive bis dämliche Fragen. Dabei rutscht ihm auch mal ein zweifelhaftes Interview mit einem Hamas-Führer durch. Kritisches Nachhaken, einordnen oder recherchieren gehören nicht zu seinem Programm. In der letzten Zeit nervt er regelmäßig Politiker und Journalisten in der Bundespressekonferenz. Jung ist ein Aufmerksamkeitsjunkie. Popularität vor Qualität. Dafür hat er immerhin den Grimme Online Award bekommen.
Nun spricht Jung allerdings nicht nur für sich allein. Er ist das aktivste Mitglied der Krautreporter, jener Redaktion, die im vergangenen Jahr für ihr Onlinemagazin viel Geld von Lesern gesammelt haben. Überzeugen wollten die Krautreporter damals vor allem mit Autoren, die man kennt, denen man gut recherchierte, toll geschriebene Geschichten zutraut. Wenn Jung sich nun daneben benimmt, ist es nur konsequent, dass das auch auf die Krautreporter zurückfällt. Auf Twitter verlangten einige Leser und Unterstützer den Rauswurf von Jung. Andere beschwerten sich darüber, dass ihr Geld in Krautreporter fehlinvestiert gewesen sei.
Krautreporter-Geschäftsfüher Sebastian Esser, der erst am Montagmorgen von Jungs Tweet erfuhr, twitterte gleich: „Zu @TiloJung: Krautreporter steht nicht für Sexismus und das Kokettieren mit Gewalt gegen Frauen. Wir werden Konsequenzen daraus ziehen.“
Welche das sind, will die Redaktion heute im Laufe des Tages besprechen. Um vier soll es eine Teambesprechung geben. Das Thema Frauen ist bei den Krautreportern sowieso ein heikles: Als sie im vergangenen Jahr gestartet sind, ernteten sie viel Kritik dafür, dass ihre Autorenschaft zu männlich sei. Mittlerweile arbeiten mehr Frauen mit als zu Beginn.
Jung jedenfalls twitterte am Montagmorgen: „Schlechte Witze verdienen diese Reaktionen. Mein Fehler, tut mir leid.“ Dabei dürfte es ihn nicht überrascht haben, wie schnell die Empörung bei gewaltverherrlichenden, chauvinistischen Bildern hochschlägt: Vor drei Jahren modelte Jung in einem frauenfeindlichen Werbespot für die Billigstrommarke „E wie einfach".
Das Video bekam so massive Kritik, dass es zurückgezogen werden musste. Tilo Jung scheint das verdrängt zu haben. Oder er wollte einfach mal ausloten, wie schnell man im Internet den Hass auf sich zieht. So ganz naiv eben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Innereuropäische Datenverbindung
Sabotageverdacht bei Kabelbruch in der Ostsee
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom