Whistleblower über smarte Überwachung: „Sie wollen das Empire“
Der Ex-NSA-Direktor Bill Binney über ineffektive Geheimdienste, den Datenmüll von Millionen Menschen und die Nadel im Heuhaufen.
taz: Herr Binney, Sie sind ein preisgekrönter Whistleblower, weil Sie Ihren Job als Technischer Direktor bei der NSA aufgaben und seither gegen Massenüberwachung kämpfen. Ihre Fans bezeichnen Sie als großen Patrioten. Warum?
Bill Binney: Weil ich für grundlegende Freiheitswerte kämpfe und dafür, dass auch meine Regierung sich daran hält. Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, die Freiheit vor Überwachung sind universelle Werte.
Auf Patriot zu machen – ist das nicht reine Taktik? Ein Patriot ist einfach der angesehenere Verräter.
Nennen Sie es Taktik, aber wahr ist doch: Für die meisten Whistleblower ist der Grund ihres Handelns, dass sie Institutionen und Prozesse verbessern und dass sie auf Probleme in Regierungen oder Unternehmen hinweisen wollen. Das ist eine durchweg konstruktive Rolle. Wenn offenkundige Probleme behoben werden, wird Regierungshandeln besser, auch effektiver. Darum geht es.
Weil Sie Geheimnisse verraten haben sollen, stürmte das FBI vor einigen Jahren Ihr Haus. Die US-Regierung würde Sie eher einen vaterlandslosen Gesellen nennen.
Kann sein, dass das stimmt. Diese vaterlandslosen Gesellen würden mich wahrscheinlich so nennen. Ich kenne den früheren NSA-Chef Michael Hayden, ich kenne den Geheimdienstdirektor James Clapper, ich kenne sie alle. Aber ich muss sagen: Seit ich die NSA verlassen habe, habe ich mehr integre Mitarbeiter kennengelernt, als zuvor innerhalb des Dienstes. Wir sollten diese Funktionsträger an ihrem Handeln messen.
Und das heißt?
Meine früheren Kollegen bei der NSA, in den Ministerien und im Weißen Haus haben einen Amtseid geschworen, der sie verpflichtet, die amerikanische Verfassung zu schützen. Dass geheime Gerichte in geheimen Sitzungen über geheime Dinge entscheiden, die faktisch diese Verfassung außer Kraft setzen, ist dabei nicht vorgesehen. Genau dies geschieht aber, um die totalitäre Überwachung in den USA umsetzen zu können.
arbeitete 37 Jahre lang für den US-Geheimdienst NSA und war unter anderem in den 1990er Jahren für die Entwicklung digitaler Überwachungsprogramme zuständig. Zuletzt hatte er als Technischer Direktor rund 6.000 Angestellte unter sich. Aus Protest gegen die Neuausrichtung der Datensammelpraxis gab er 2001 seinen Job auf - und kämpft seitdem gegen die Massenüberwachung der NSA und die aus seiner Sicht ineffektive Verwendung von Steuergeldern.
Wenn das angeblich so klar ist: Wieso ändert sich dann nichts daran?
Das Problem dahinter ist: Diejenigen in den Ämtern, die diese Probleme verantworten, verhalten sich häufig wie Alkoholiker. Sie können das Problem nicht lösen, weil sie es selbst nicht als Problem anerkennen. Wer nicht in der Lage ist, inhaltliche Antworten auf die Probleme zu geben, die Whistleblower aufwerfen, verhält sich genau so: Sie wollen das Problem nicht sehen und bekämpfen es stattdessen mit mehr vom Falschen.
Sie kritisieren nicht nur, dass eine anlasslose Massenüberwachung verfassungswidrig sei, sondern vor allem, dass sie ineffektiv ist. Sie wollen also effektivere Überwachung?
Natürlich. Geheimdienste wurden gegründet, um Gefahren vorauszusehen. Sie scheitern damit aber regelmäßig. Konnten die Dienste die Angriffe in Paris auf die Redaktion von Charlie Hebdo verhindern? Oder die Bomben beim Boston-Marathon? Nein.
Machen Sie es sich damit nicht etwas einfach?
Nein, es ist eine systemische Frage: Alles zu sammeln hat nur einen Vorteil für forensische Polizeiarbeit, um hinterher, wenn alles bereits geschehen ist, Tathergänge zu rekonstruieren. Geheimdienste haben aber die Aufgabe, Dinge zu stoppen, bevor sie passieren. Und dafür haben Dienste wie die NSA und der britische GCHQ die falsche Strategie gewählt. Die Aufgabe der Dienste ist die Terrorbekämpfung. Es geht nicht darum, dass sie in der Lage sein sollen, ein Empire zu kontrollieren. Die Dienste wollen aber das Empire.
Wie würden Sie es besser machen?
So wie wir es vor 15 Jahren gemacht haben, vor dem 11. September. Sie nehmen all die Bewegungs- und Kommunikationsdaten, die sie bekommen können – Telefon, E-Mail, Standortdaten, Bewegungsmuster, all das. Aber sie nehmen nicht alles von allen Menschen, sondern nur die, die wirklich relevant sind. Und dann geben Sie alle Kraft und alle Mittel in die bessere Analyse, in die gezielte und verfassungskonforme Auswertung dieser Daten. Das ist doch nichts Neues.
Ganz pragmatisch: Wieso soll es effektiver sein, weniger Daten zu haben?
Wenn Daten wertvoll sein sollen, müssen sie bedeutsam und handhabbar sein. Wenn Sie zu viele unstrukturierte Datensätze haben, blicken sie später nicht besser durch, sondern schlechter. In den US-Geheimdiensten sind dafür inzwischen 20.000 Analysten eingestellt. Die sollten eigentlich die Terroristen dieser Welt im Auge behalten.
Tun die das nicht?
Die analysieren sich vor allem durch den Datenmüll von Millionen von Menschen. Das kostet Milliarden an Steuergeldern. Wenn das Geld, das für diese Leute ausgegeben wird, gezielter und klüger verwendet werden würde, wären die Probleme mit dem internationalen Terrorismus wesentlich kleiner.
Sie waren in den 90er Jahren für die Entwicklung eines schlanken Überwachungsprogramms verantwortlich – Codename „ThinThread“. Nach dem 11. September wollte es niemand mehr haben. War Ihr Programm einfach schlecht?
Es wäre ein Programm gewesen, dass die Rechte von US-Bürgern geschützt hätte. Wir hatten technisch dafür Sorge getragen, dass Daten etwa verschlüsselt abgespeichert wurden und nur bei Bedarf und unter Wahrung bestimmter Hürden zugänglich wurden. Ich sage Ihnen: Es wäre effektiver gewesen als die totalitäre Massenüberwachung.
Warum?
Was wir haben, ist nicht nur eine massenhafte Datensammlung, sondern vor allem ein massenhafter Datenirrtum. Was wir brauchen, sind smarte, passgenaue Datensammlungen. Sie konnten schon die Nadel im Heuhaufen nicht finden, aber anstatt sich darauf zu konzentrieren, die Nadel zu finden, vergrößern sie einfach den Heuhaufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind