Kommentar Flüchtlingspolitik in Europa: Das Erschrecken ist nur Heuchelei
Die Flüchtlingsfrachter vor Italien sind nicht die Folge der eingestellten Mare-Nostrum-Operation. Sie sind das Resultat der europäischen Abschottung.
E uropa ist aufgeschreckt. Kaum, so scheint es, hat Italien seinen unter dem Namen Mare Nostrum laufenden humanitären Einsatz im Mittelmeer gestoppt, da kommen die Flüchtlinge auf verrotteten Frachtern vor die italienische Küste, machen skrupellose Schlepper den Autopiloten an und riskieren Katastrophen, um Millionen zu verdienen.
Da klingt es durchaus plausibel, was das UN-Flüchtlingshilfswerk sagt: Die Rückkehr zum EU-Abschottungseinsatz Frontex unterbreche die Fluchtbewegungen nicht, sondern eröffne bloß einen neuen, mindestens genauso gefährlichen Weg. Mit der Wirklichkeit der Flüchtlinge allerdings hat diese Einschätzung wenig zu tun.
Wer als Syrer in einem Camp in der Türkei sitzt, dem stand schon vorher der Weg über Libyen kaum offen. Geschäftstüchtige Schleuser haben schlicht einen weiteren Reiseweg aufgemacht. Nicht umsonst fuhren die ersten Frachter bereits im September von der Türkei aus los, als Mare Nostrum noch perfekt funktionierte, als Italiens Marine noch bis dicht an Libyens Küste heranfuhr, um Menschen aus Seenot zu retten.
Nein, nicht die Einstellung von Mare Nostrum ist dafür verantwortlich, dass Tausende Syrer den Weg vom östlichen Mittelmeer aus nach Italien einschlagen. Verantwortlich ist und bleibt die generelle Ausrichtung der europäischen Abriegelungspolitik. Sie ist es, die die Menschen auf die Schiffe der Schleuser zwingt, wo immer auch sie in See stechen.
Selbst im Fall der Millionen Syrer, an deren Fluchtgründen kein vernünftiger Mensch zweifeln kann, bleibt Europas Tür einfach zu; beschämenswert niedrige Aufnahmequoten einer Handvoll EU-Staaten waren bisher die einzige „Antwort“. Das Erschrecken über die Risiken einer Flucht, egal ob auf der Libyen- oder auf der Türkeiroute, ist reine Heuchelei.
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