Verbürgerlichung der Rap-Kultur: Marginalisiert mit Gemüseabo
Was wurde nur aus den bösen Buben und Vielrednern am Mikrofon? Es ist Zeit für ein anständiges Hip-Hop-Battle.
Jens-Christian Rabe glaubt noch an die gute alte Zeit. An die Zeit, in der sich das Feuilleton lesende Bürgertum abschrecken ließ von dem Wort „Fotzen“. Mit denen begann Rabe kürzlich einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung zu Bushido, dem Schrecken von: ja, wem eigentlich? Eigentlich ist das Gegenteil der Fall: HipHop ist seit Jahren fest in der Hand der bürgerlichen Mittelschicht.
Die alten Grenzen sind brüchig geworden, man könnte gar meinen, Standesdünkel spielten im modernen Pop insgesamt keine Rolle mehr. Eigentlich aber geht es hierbei um eine feindliche Übernahme, um Imperialismus. Besonders eindrucksvoll ist dieser, weil er mit dem HipHop in gesellschaftliche Sphären vorgedrungen ist, die früher identitätsstiftend und haltgebend für die gesellschaftlichen Ausgeschlossenen und Abgehängten wirken konnten.
Immer geht es bei der Ausbildung von Stilen, von Klamotten, Musik, Sprech- und Verhaltensweisen um soziale Kämpfe, um Identitätsbildungen und Distinktionen, das können wir von Pierre Bourdieus Soziologie seit den Sechzigern lernen.
Genau diese Ausschlüsse jedoch, das Insiderwissen und die eigenen Codes werden der „Community“ nach und nach entwendet, wenn HipHop es mit Trojanischen Pferden wie Cro, Casper und Prinz Pi in die Feuilletons schafft. Da sind sie, die Rapper der Generation Praktikum. Die Rapper, die quasi alle Werte des traditionellen HipHop umgewertet haben.
Die wuchtigen Klischees
Die wuchtigen Klischees, die wohl die meisten von uns tatsächlich nur aus dem Fernsehen kennen, werden hier nicht zurechtgestutzt, sie werden nicht dekonstruiert: Sie werden völlig verdrängt. Gern wird das gelesen als Ende des Gangsta-Rap, und es stimmt ja, selbst die altbekannten Härtner wie Sido oder Kool Savas predigen längst die Leistungsideologie: Streng dich an, es liegt an dir.
Bei Casper, bei Prinz Pi, bei Cro sind die persönlichen Kämpfe am unteren Ende der Gesellschaft, die ganz sicher nicht den Leerlauf nach dem Germanistikstudium meinen, die offene Gewalt und deren Affektkontrolle, die Gangsta-Attitüde, die Zurschaustellung des neu erworbenen Reichtums (brennende Geldscheine, verschütteter Champagner und so weiter), längst vollständig ausradiert.
Ist die Tradition, ist der harte Gangsta-Rap tot? Für die kreuzbraven Stipendienrapper war er überhaupt nie existent. Casper, der „Emorapper“, wirkt denn auch bloß wie eine Fortsetzung von Thees Uhlmann mit anderen Mitteln.
Hier werden Kettcar statt Ice-T zitiert, der Pathos des „Ich gegen den Rest der Welt“ des traditionellen HipHop wird plattgemacht vom Befindlichkeitsrap, der das Zerdenken und die Einordnung auf dem Pop-Zeitstrahl selbst mitliefert.
Mit netten Jobs und Gemüseabo
Marteria, der auch mal bei der „Kulturzeit“ von 3sat interviewt wird, geht noch weiter: Bei ihm bestimmen nicht mal mehr Selbstzweifel und Zukunftsängste einer ziemlich satten Bürgerlichkeit das Szenario, er singt stattdessen von der Langeweile mit den ganzen jungen Eltern mit netten Jobs und einem Gemüseabo, er singt von der Langeweile zweiter Ordnung. Von „den wilden Zeiten früher“ und den Soziologiestudenten, die es längst aus dem Praktikum rausgeschafft haben.
Selbst der perverse Thrill, die politisierende Spannung, die womöglich noch aus dem Status des Unsicheren und Unfertigen zu ziehen wäre, sie ist erloschen. So sieht die Welt nach der Angst aus, die Welt des grünen Bürgertums. Und so klingt sie auch. Bei Marteria und bei Cro dominieren allerorten auffällig poppige Beats, mal ein bisschen Reggae, mal ein Feature mit Campino, mal mit Peter Fox.
Bloß keine klare Szenezugehörigkeit mehr, das ist die Strategie. Dann erzählen die Künstler und die Plattenfirmen etwas von „über den Tellerrand schauen“, und deswegen können ihre Songs auch auf den Studentenpartys hinter Franz Ferdinand und vor den Editors laufen.
Bei diesen brav tanzbaren Joy-Division-Verwässerern ist es ja ähnlich: Wo sich mal Abgründe auftaten, ist jetzt: höchstens Nostalgie. Casper und Prinz Pi ziehen auf ihren neuen Alben den logischen Schluss, sie gehen insgesamt über die Idee von Beats und Samples hinweg, sie laden sich eine ganze Rockband ins Studio.
Scheußlich pathetischer Indierock
Casper holt sich Hilfe vom Popakademieabsolventen Konstantin Gropper, der mit Get Well Soon ziemlich strebsam einen scheußlich pathetischen Indierock produziert. Die Ergebnisse sind, natürlich, höchst professionell produziert, sie klingen warm, organisch, einnehmend.
Während Casper dann – ironischerweise? – gleich eine Anleitung mitliefert, an welche Band der jeweilige Song auf „Hinterland“ angelehnt ist, beteuert Prinz Pi, er habe so viel Beatles gehört und eifere deren Sound nach. Na prima, das gefällt auch seinen Eltern.
Ja, es gibt den Gangsta-Rap noch, natürlich. Haftbefehl zum Beispiel, den mit den Chabos, die wissen, wer der Babo ist. Oder Kollegah, der „Steroidrapper“. Aber deren Gangsta-Rap hat längst den Radikalismus und die Wut eingebüßt. Musikalisch, weil seine Vertreter immer wieder über ihre austauschbar überproduzierten Sozialdarwinisten-Beats rappen. Klar, soll es mal dramatisch werden, dann werden die Synthiestreicher drübergekleistert – oder Glashaus singt die Hook. Das ist eigentlich kein echtes Problem, denn entscheidend ist gerade das Spiel mit den Stereotypen. Nicht erst seit dem studierten Kommunikationswissenschaftler Moneyboy hat der Gangsta-Rap die Satire für sich entdeckt.
Die vordergründig Harten
Haftbefehl wie Kollegah machen gar keinen Hehl aus ihrer Ironie, ihrer Persiflage des Ultrabrutalen, Starken, Machomäßigen. Ja, selbst die vordergründig ganz Harten, die gar nicht lassen können von den ganzen Mutterficker-Schrotflinten-Reimen, ja, selbst die rappen dann fürs ZDF den „Erlkönig“ ein. Deswegen ist das Feuilleton entzückt: Weil selbst die Gangsta sich über das Gehabe sehr gekonnt und smart lustig machen.
Die Logik dahinter ist eindeutig: Wenn schon Pathos, wenn schon Stimme eines Zeitgeists, dann Casper. Und wenn schon Gangsta, dann bitte ironisch bis zur völligen Zersetzung. Fraglos, man kann das witzig und smart finden. Aber beide Weisen gehen letztlich maximal herablassend mit denen um, die Kollegah nicht wegen der Ironie hören – sondern weil sein Gebaren Stärke, Souveränität, materielle Sicherheit suggeriert.
HipHop war in der Übertreibung immer eine radikale Form der Selbstermächtigung. Ganz ohne Ironie. Aber beide Modelle können so erfolgreich koexistieren, weil die Gangsta mittlerweile eben auch so schrecklich abgeklärt und wohlerzogen daherkommen. Die Wut, die Lust an der Zerstörung, ja, das Außeralltägliche führen auch die Brutalos rein als Schauspiel auf.
Deswegen geht das, Casper kaufen und die neue Haftbefehl dazu. So radikal unterschiedlich beide Milieus in ihren Vermarktungsstrategien und dem Image der Künstler auch erscheinen mögen, der Gangsta-Rap ist längst nicht mehr der Hort der Unterschichtenmusik, die man aus der Ferne verachten durfte. Man könnte das als lobenswerte Entwicklung sehen.
Yeah, auch die Unterschichtsrapper machen jetzt Abitur. Es ist aber umgekehrt: Diejenigen, die Abi machen, machen jetzt eben auch Rap. Und erlangen im Schulterschluss mit uns Schreiberinnern nach und nach eine Deutungshoheit über ein Terrain, das mal als identitätsstiftendes Moment derjenigen gedacht war, die sich das Recht zur Schwäche, Innerlichkeit, „Unmännlichkeit“ nicht ohne Weiteres nehmen konnten. Die Folge ist eindeutig. Die Marginalisierten, die in den Geschichten und den Gesten größtmöglicher Souveränität mal eine Stimme erhalten haben, sie werden ein zweites Mal: marginalisiert.
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