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Runder Tisch in der UkraineReden im Krisengebiet

Erstmals treffen sich politische Akteure und Diplomaten im Osten der Ukraine. Die Separatisten sind nicht dabei. An Deutschland hat die Ukraine besondere Erwartungen.

Grau in grau am Runden Tisch. Bild: reuters

KIEW/ MOSKAU dpa | In der ukrainischen Stadt Charkow hat ein zweiter Runder Tisch zur Entschärfung des Konflikts begonnen. Nach einem ergebnislosen ersten Treffen in der Hauptstadt Kiew am Mittwoch kamen damit erstmals im krisengeschüttelten Osten des Landes prominente politische Akteure zusammen, darunter Regierungschef Arseni Jazenjuk und der deutsche Diplomat Wolfgang Ischinger.

Auch die früheren Präsidenten Leonid Krawtschuk und Leonid Kutschma trafen zu den Gesprächen am Samstag ein, wie das Staatsfernsehen zeigte. Die Runde findet erneut ohne Vertreter der militanten Separatisten statt.

Gut eine Woche vor der Präsidentenwahl am 25. Mai beklagt die Wahlkommission in Kiew massive Probleme im umkämpften Osten des Landes. Durch die Gefechte zwischen Regierungstruppen und schwer bewaffneten prorussischen Separatisten hätten in etwa einem Dutzend der Wahlbezirke noch nicht einmal die Vorbereitungen begonnen.

Die militanten Kräfte, die in vielen Großstädten in der Ostukraine öffentliche Gebäude besetzen, hatten nach einem international nicht anerkannten Referendum am 11. Mai die unabhängigen Volksrepubliken Donezk und Lugansk ausgerufen. Die Wahlkommission forderte Interimspräsident Alexander Turtschinow auf, die Arbeit der regionalen Wahlbüros und das Recht der Bürger auf Teilnahme an der Abstimmung zu garantieren, wie Medien in Kiew am Samstag berichteten. „Die Lage verschlechtert sich“, warnte die Behörde.

250 Tote seit Ausbruch des Konflikts

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen kamen seit Ausbruch des Konflikts etwa 250 Menschen ums Leben. Der selbst ernannte „Volksbürgermeister“ der umkämpften Großstadt Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, behauptete am Samstag, die Regierungstruppen hätten im Osten deutlich höhere Verluste erlitten als eingeräumt. Mindestens 650 Menschen seien seit Anfang Mai verletzt, gefangen oder getötet worden. Unter den Toten seien auch Mitarbeiter der CIA, des FBI und des ukrainischen Geheimdienstes SBU, brüstete er sich laut Agentur Interfax in einer Videobotschaft.

Der Westen beschuldigt den Kreml, den Konflikt in der benachbarten Ex-Sowjetrepublik anzuheizen. US-Präsident Barack Obama drohte mit weiteren Sanktionen. Moskau werde „bedeutende weitere Kosten“ zu spüren bekommen, wenn es sein „provokatives und destabilisierendes Verhalten“ fortsetze, sagte Obama laut Weißem Haus am Freitag in einem Telefonat mit seinem französischen Kollegen François Hollande.

Schäuble: Europa nicht unterschätzen

Vor einem Besuch in Berlin nahm der ukrainische Außenminister Andrej Deschtschiza insbesondere Deutschland in die Pflicht. „Wenn deutsche Politiker für die Destabilisierung der Region nicht verantwortlich sein wollen, dann muss Berlin gegenüber Russland stärker auftreten“, forderte er in der Welt. Er wird am Dienstag zu einem Treffen mit seinem Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier erwartet.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Ich habe kein Interesse daran, dass Russland beschädigt wird.“ Wer aber meine, „der Westen werde am Ende aus wirtschaftlichen Interessen immer nachgeben“, unterschätze Europa.

Der Leiter des OSZE-Forschungszentrums Hamburg, Wolfgang Zeller, glaubt hingegen, wer Moskau die Verantwortung zuschiebe, mache es sich zu einfach. Russland könne nur deshalb Einfluss nehmen, weil die Ukraine so schwach sei, sagte er im WDR 5 Morgenecho.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) schickt für die Wahl etwa 1000 Beobachter in die Ukraine. Einer von ihnen, der Direktor der Europäischen Schule in Karlsruhe, Tom Hoyem, sagte: „Um das Chaos in der Ukraine zu beenden, braucht es eine demokratisch legitimierte Autorität. Die Präsidentenwahl ist der Anfang.“

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13 Kommentare

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  • "Die Ukraine droht auseinanderzubrechen. Internationale Interessen Russlands überlagern den Konflikt und heizen ihn zusätzlich an. Ein Ende ist nicht in Sicht." Schon toll wie ihr das Schwerpunktthema Ukraine übertitelt. Überlagernde Interessen des Westens spielen keine Rolle, was? Ich frag´mich, warum ich nicht gleich "Bild" lese. Echt zum Kotzen. Scheiß taz.

  • "die Gefechte zwischen Regierungstruppen..."

     

    Oder auch "Pravy Sector" und ausländische Söldner (Academi, tschetschenische, eventuell auch saudische Jihadis)...

     

    "... und schwer bewaffneten prorussischen Separatisten"

     

    Die nützliche Erfindung der "Pro-Russen" | Telepolis | http://unurl.org/2P2B

     

    "Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ... Wer aber meine, „der Westen werde am Ende aus wirtschaftlichen Interessen immer nachgeben“, unterschätze Europa."

     

    Der neoliberale Austeritätspriester. Selten so gelacht. Aus wirtschaftlichen Interessen "des Westens" enstand das Drama erst. Das ganze Bild:

     

    Michael Hudson: The New Cold War's Ukraine Gambit | http://theanondog.i2p.us/cgi-bin/src.py?140517070

     

    Danach kann man sich vorstellen, was bei dem "runden Tisch" der Oligarchen und neoliberalen Plünderer herauskommen wird. Und was - kalter oder warmer Krieg hin oder her - auch uns "im Westen" noch erwartet, mit den Schäubles und Steinmeiers, Merkels und Özdemirs, Obamas und Kerrys.

  • Zwar nicht in der taz, wohl aber in anderen Medien kann man lesen, dass am Runden Tisch durchaus Politiker sitzen, die den Separatisten nahestehen, wie zum Beispiel Mikhail Dobkin. Es handelt sich also keineswegs um eine Veranstaltung, bei der nur eine Seite mit sich selber redet.

    • @Yoram Hartmann:

      Quellen???

  • Es wäre nett, wenn die TAZ aufhören würde, eine Alibiveranstaltung als Lösungsansatz zu verkaufen.

     

    Eine Lösung kann es nur durch Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien geben. Und diese sind ja noch nicht einmal angedacht.

     

    Und bitte hören Sie doch endlich auf, diese "Wahl" am 25. zu erwähnen. Nach Lage der Dinge wird diese Veranstaltung in einigen Gegenden überhaupt nicht stattfinden. Und dort wo sie stattfindet, ist kaum ein fairer Wahlkampf möglich. Im Osten können die prowestlichen Kandidaten keinen solchen führen und im Westen werden die prorussischen Kandidaten verprügelt. Also wird letztendlich der Oligarch zum Sieger erklärt, der vom Westen ausgesucht wurde. Das Ganze erinnert ein bisschen an die Wahlen in "Asterix auf Korsika". Dazu kommt noch, dass überhaupt nicht klar ist, welche Vollmachten der "Gewählte" dann hat. Die Vollmachten des Präsidenten sollen doch größtenteils auf die Regierung übertragen werden. Das war doch eine Forderung der Maidanis. Am Ende bleibt also alles beim Alten.

  • Ach ja , die Präsidentenwahl ... Trotz täglicher Artikel und Berichte in allen Medien scheint sich unser Mainstream immer noch nicht dafür zu interessieren , welche Figuren von welchen Parteien u/o Gruppierungen denn da am 25/5 zur Wahl stehen ; nirgendwo sieht und liest man etwas über einen laufenden Wahlkampf (gibt es überhaupt einen ?).

    Ist es dem Mainstream (inklusive Taz! ...) zu riskant , darüber zu berichten , weil sonst noch jedem politischen Deppen schon jetzt die Wahl als Inszenierung einer verlogenen "demokratischen" Farce vorkommen müßte ? Einer Farce , die nach geheimem Drehbuch und unter geheimer Regie von USA/CIA/EU/Nato aufgeführt wird , derzeitige Impresario-Marionetten Turtschinev / Jazenjuk ?

  • Übrigens ist dieser Satz schon wieder eine politische Lüge: “An Deutschland hat die Ukraine besondere Erwartungen.” Nein, hat sie nicht. Denn sie könnte es nur haben, wenn die Ukraine durch eine legitime Regierung vertreten wäre. Ist sie aber nicht. Das ist ja gerade der Konflikt: die Rebellen im Osten der Ukraine erkennen die Putschregierung nicht an.

     

    So ist die TAZ Teil dessen, was eine Einigung verhindert: indem sie an einem einseitigen, parteiischen Narrativ mitschreibt, der von der anderen Seite sicher nicht akzeptiert werden wird. Das führt zum Krieg in Europa.

  • Dass Schäuble CDU/CSU hier überhaupt noch erscheint, ist der SPD zu verdanken. Erst die SPD hat diese unsägliche Regierungskoalition ermöglicht. Die Quittung gibt es hierfür bei den nächsten Wahlen!

  • Wieso nennt Ihr das einen “runden Tisch”?

     

    Unter einem solchen verstehen die meisten Leute, dass beide Seiten (meist unter Hinzuziehung eines neutralen Vermittlers) an einen Tisch sitzen für Verhandlungen.

     

    Hier berät nur eine Seite. Die zweite ist gar nicht vertreten, ebensowenig ist ein neutraler Vermittler in Sicht.

     

    Das ist kein “runder Tisch”, das ist eine reine Farce.

  • TAZ:"Die Separatisten sind nicht dabei."

     

    Wer sind den Separatisten? Die illegale ukrainische Regierung, die die Ukraine in den guten Westen und vom bösen Osten separieren will, oder meint TAZ die Vertreter Russlands, die wiederholt nicht mit einbezogen werden? Es wird keine für alle friedenserhaltende Lösung geben, nicht ohne Russland und erst recht nicht gegen Russland, nur zusammen mit Russland. Oder haben die Waffenindustrie und die sterbende NATO ein Interesse an einem Krieg?

  • "Der Westen beschuldigt den Kreml, den Konflikt in der benachbarten Ex-Sowjetrepublik anzuheizen."

     

    Wie denn, bitte? genauere Angaben? Etwa mit Soldaten so wie die Amerikaner?

    Das sieht nicht so aus.

     

    Liebe taz (und dpa etc), nochmal langsam: Die Amerikaner sind in der Ostukraine, nicht die Russen.

     

    Es wäre schön, wenn westliche Reporter mal nachfragen würden, was man den Russen denn eigentlich vorwirft (ich meine: abgesehen von der Angliederung der Krim). Es wird ja so getan, als wäre Russland zur Zeit zersetzend aktiv in der Ukraine. Dafür gibt es aber doch gar keine Hinweise (anders als im Falle der USA).

     

    Eine solche Berichterstattung ist doch himmelschreiend unvernünftig und widersprüchlich.

  • Es wäre Interessant zu erfahren, als was Ischenger an diesem Treffen teilnimmt.

    Ischenger ist so unbefangen, dass er einen guten Vermittler sein könnte, siehe hier

    Ischinger ist Mitglied der Kuratorien der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), von SIPRI (Stockholm), der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), Berlin, der American Academy in Berlin, des American Institute for Contemporary German Studies (AICGS), Washington (D.C.), des East-West Institute New York, von AFS Deutschland, des Council on Public Policy, des Youth-for-Understanding-Stiftungsrats, des Center for European Reform (CER), London, und des Atlantic Council of the United States. Ischinger ist Mitglied des Aufsichtsrates der Allianz SE. Außerdem ist er Mitglied des European Advisory Council von Investcorp, London/New York und der Trilateralen Kommission.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Ischinger