Erdogans Kampf gegen das Internet: Youtube in der Türkei gesperrt
Nach Twitter wird die zweite Netzplattform dicht gemacht. Dort sind Telefonmitschnitte veröffentlicht worden, die den Premier schwer belasten.
ISTANBUL taz | Seit Donnerstagnachmittag ist in der Türkei auch die Videoplattform Youtube gesperrt. Nachdem vor einer Woche der Kurznachrichtendienst Twitter für türkische Nutzer dicht gemacht worden war, ist mit Youtube nun die zweite wichtige Plattform sozialer Medien in der Türkei unzugänglich gemacht worden.
Die Sperre von Youtube kommt überraschend - vor allem auch deshalb, weil am Dienstag erst ein Verwaltungsgericht in einer Eilentscheidung die Regierung aufgefordert hatte, die generelle Sperre von Twitter wieder aufzuheben und nur einzelne strafrechtlich relevante Mitteilungen zu löschen.
Mit Youtube trifft es nun die Plattform, auf der seit dem 25. Februar fast täglich abgehörte Telefonmitschnitte veröffentlicht wurden, die Ministerpräsident Tayyip Erdogan und seine AK-Partei in schwere Bedrängnis gebracht hatten. Dabei ging es um Telefongespräche Erdogans mit seinem Sohn Bilal, in dem Erdogan Bilal anweist Millionen Dollar von Schwarzgeld aus dem Haus zu schaffen. In Telefonaten zwischen Erdogan und dem Justizminister fordert der Regierungschef, der Minister solle sich für ein bestimmtes Urteil einsetzen. In einem weiteren angeblichen Gespräch plaudert Erdogans ältester Sohn Burak mit seiner in der Schweiz lebenden Geliebten.
Der letzte am Donnerstag veröffentlichte Telefonmitschnitt ist vor allem politisch brisant und dürfte den Ausschlag für die Sperre gegeben haben. Es geht um ein im Außenministerium illegal abgehörtes Gespräch zwischen dem Außenminister Ahmet Davutoglu, seinem Staatssekretär Sinirlioglu, dem Geheimdienstchef Hakan Fidan und einem Vertreter des Generalstabschefs. In dem Gespräch werden mögliche militärische Maßnahmen der Türkei in Syrien erörtert. Das Gespräch betrifft den innersten Sicherheitsbereich der Regierung.
Wahlen als Referendum über Erdogan
Dazu kommt, dass am kommenden Sonntag für Ministerpräsident Erdogan entscheidende landesweite Kommunalwahlen bevorstehen, die einem Referendum über den Regierungschef gleichkommen. Seit Tagen war darüber spekuliert worden, dass Gegner Erdogans kurz vor den Wahlen noch einmal ein besonders anrüchiges Geheimnis ins Netz stellen könnten. Seit Monaten liefert sich Erdogan eine heftige Auseinandersetzung mit der größten türkischen islamischen Sekte, der Gülen-Bewegung, von der die regierung annimmt, dass ihre Anhänger die Mitschnitte veröffentlichen. Die Gülen-Bewegung soll viele Anhänger in der Justiz, der Polizei und im sonstigen Sicherheitsapparat haben, denen Erdogan offenbar zutraut, jede sensible Information beschaffen zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen