Woher kommt die Angst vor Technik?: „Wir sind bequeme, faule Wesen“
Vor allem Eltern stehen neuer Technik wie Tablet-Computern skeptisch gegenüber. Medienprofessor Frank Hartmann begründet diese Angst mit Kontrollverlust.
sonntaz: Herr Hartmann, viele Eltern stehen Tablet-Computern kritisch gegenüber. Woher kommt diese Skepsis?
Frank Hartmann: Sie fürchten, ihren Expertenstatus zu verlieren. Eltern waren ihren Kindern bislang in fast allen Belangen überlegen. Vor allem was die Technik angeht. Einen Computer muss man einem Kleinkind erst mal erklären – die ganze Koordination von Maus und Auge auf dem Bildschirm, das ist im Grunde eine Expertentechnik. Bei der Touchscreen-Technologie hat sich das geändert. Schon Drittklässler gehen damit geschickter als ihre Eltern um. Einfach weil die Geräte so intuitiv bedienbar sind.
Wobei einfache Bedienung ja nicht nur Kindern hilft, sondern auch älteren Menschen.
Das stimmt. Und trotzdem beobachte ich: Vielen geht diese Entwicklung zu schnell. Wir sind bequeme, faule Wesen. Wenn wir etwas gelernt haben, wollen wir es auch eine Zeit lang anwenden. Das Konzept vom lebenslangen Lernen klingt doch ziemlich bedrohlich, wenn man ehrlich ist. Und jetzt gab es in wenigen Jahren die Entwicklung von der mechanischen zur elektrischen Schreibmaschine über den Computer zum Tablet. Das geht ein bisschen schnell. Man will seinen Expertenstatus auch mal behalten.
Ist die Reaktion auf Tablets vergleichbar mit der auf das Fernsehen? Die französische Schriftstellerin Françoise Sagan schrieb einst: Das Fernsehen hat aus dem Kreis der Familie einen Halbkreis gemacht.
Klar, sehr viele Innovationen wurden erst mal abgelehnt. Beim Fernsehen auch aus sozialromantischen Gründen. Die gute alte Familie, die Sagan beschwört, hat auch vorher nicht unbedingt zusammengesessen. Die Männer saßen am Tisch und rauchten, die Frauen waren in der Küche, und die Kinder spielten nebenan. Aber vieles traf auch erst auf Ablehnung, weil man sich nicht vorstellen konnte, wozu man das jetzt brauchen soll.
geboren 1959 in Bregenz, ist Medienphilosoph. Er hat mit einer Arbeit über Max Horkheimer promoviert und Medien- und Kommunikationstheorie an der Universität Wien unterrichtet. Heute lehrt er als Professor an der Bauhaus-Universität Weimar. Seit 2011 ist Hartmann dort Dekan der Fakultät für Gestaltung.
Zum Beispiel?
Das Telefon, als es den Telegrafen ablöste. Klar, Chefs benutzten das, um Anweisungen an ihre Angestellten zu geben. Aber für persönliche Gespräche? Sprechen, ohne sich zu sehen? Eine Kommunikationsform, die schwer vorstellbar war.
Sie haben gesagt, Tablets werden unter anderem skeptisch aufgenommen, weil sie einfach zu bedienen sind und so den Expertenstatus vieler Menschen angreifen. Gibt es auch dafür Beispiele in der Geschichte?
Ja, bei der Fotografie war das ähnlich. Da verloren die oberen Schichten das Privileg, sich abbilden zu lassen. Plötzlich konnte sich jeder einfach fotografieren, auf der Hochzeit oder dem Geburtstag.
Machen iPads doof? Ein Forscher warnt und eine Familie mit drei Kindern und fünf iPads macht sich neuerdings Gedanken – die Ganze Geschichte „Wischiwischi“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 3./4. August 2013. Darin außerdem: Wie sich die NPD im äußersten Nordosten der Republik auf ein Verbot vorbereitet. Und: Die englische Schriftstellerin Jeannette Winterson über Liebe, Zusammenbrüche und die Gewalt der Sprache. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Im Nachhinein erscheint es zwingend, dass diese Innovationen erfolgreich waren.
Ja, beim iPad ist das genauso. Wir wurden jahrelang von PCs gequält, die wie Büros funktionieren und damit an Arbeit erinnern. Da gibt es Ordner, Arbeitsplätze, Mülleimer. Die alten Tastaturen hatten sogar Nummernblöcke, als wären wir alle Buchhalter. Aber die meisten sind eben keine Buchhalter.
Die Visionäre der Computerentwicklung – Alan Kay oder Adele Goldberg – haben schon in den Siebzigern gesagt: Computer können viel mehr, als uns Bürotätigkeiten zu erleichtern. Die Industrie hat das nur lange mehr oder weniger ignoriert. Aber irgendwann kommt eben jemand, der sich dieser Bedürfnisse annimmt.
Das waren jüngst oft Amerikaner. Ist die skeptische Haltung gegenüber technischen Innovationen typisch deutsch?
Es ist zwar ein Klischee, aber die Deutschen sind schon kulturpessimistisch veranlagt. Immer soll die humanistische Kultur verteidigt werden. Im Vergleich zu den Amis ist das ein riesiger Unterschied: Die Leute um Steve Jobs im Silicon Valley, das waren oft Hippies, Freaks, Linke. Aber die waren nicht so technikfeindlich wie viele Linke bei uns. In Deutschland gibt es immer noch Glaubenssätze: Sein Brot isst man auf und , wenn es um Tablets geht, ein Buch ist immer besser als ein Bildschirm.
Was ist der Nutzen von Tablets für ältere Menschen?
Der Nutzen ist die leichtere Zugänglichkeit, genau wie bei Kindern. Tablets haben eine völlig neue Leichtigkeit der Oberfläche. Allerdings kann der Nutzen von Tablets sehr unterschiedlich sein: Manch Älterer will nur schreiben, da ist ein Tablet fast komplizierter als ein normaler Computer, man muss erst eine Bluetooth-Tastatur installieren.
Sind Tablets so etwas wie eine späte Chance für ältere Menschen, doch noch einen Zugang zu neuesten Medien zu bekommen?
Viele haben sich um PCs nicht geschert, sind jetzt bei den Tablets aber vorn mit dabei. Ja, das ist wohl eine Chance. Die Fähigkeiten der ersten PC-Generation – sich auskennen mit Betriebssystemen und so weiter – sind jetzt überflüssig, jeder kann mitmachen.
Das klingt, als könne jetzt jeder computern.
Ich sehe aber die Gefahr, dass gerade ältere Menschen das Potenzial von Tablets verpassen und wieder in die Position eines passiven Mediennutzers rutschen. Sprich: sich wie früher vorm Fernseher berieseln lassen und weniger selbst auswählen, agieren. So mancher liest inzwischen andere Twitter-Accounts. Selbst mitmischen, das machen die wenigsten.
Warum verweigern sich ältere Menschen neuer Technik so oft?
Wir alle durchlaufen Lernprozesse mit Medien. Ältere müssen da viel öfter neu beginnen als Jüngere. Das ist frustrierend und fühlt sich jedes Mal wie ein Kontrollverlust an. Intuitiv versuchen sie dann, auf alten Funktionen zu beharren: So wie der Mathelehrer anfangs am Taschenrechner gezweifelt hat, weil das Kopfrechnen dadurch an Bedeutung verlor.
Dazu kommt noch eine Sprachbarriere, das sehe ich an meinen Töchtern und meinem Vater: Auf Tablets läuft vieles auf Englisch. Meine Töchter verstehen das sofort, mein Vater tut sich schwerer, diese Generation spricht oft nicht gut Englisch. Bei all den Anglizismen, den Games und Apps, verliert man dann leicht den Überblick. Das Gefühl ist dann wieder: Kontrollverlust.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen