Flüchtlingscamp in München: Räumung im Morgengrauen
In München befanden sich Asylsuchende im Durst- und Hungerstreik. Der wurde am Sonntagmorgen von der Polizei gewaltsam beendet.
MÜNCHEN taz | In den frühen Morgenstunden rückten 350 Polizisten an, um das Flüchtlingscamp in der Münchner Innenstadt zu räumen. Darunter auch Beamte des Unterstützungskommandos (USK), das für Einsätze mit besonderem Gefährdungspotenzial bestimmt ist.
Mit dem Einsatz wurde der Hunger- und Durststreik der zuletzt noch 44 Asylsuchenden aus dem Iran, Afghanistan, Äthiopien, Syrien und Sierra Leone am Rindermarkt auf Geheiß der Stadt und des bayerischen Innenministeriums gewaltsam beendet. Zuvor hatten Ärzte von „akuter Lebensgefahr“ für die Hungernden gesprochen.
Seit mehr als einer Woche hatten die Männer und Frauen nichts mehr gegessen und seit fünf Tagen auch nichts mehr getrunken. Die Streikenden forderten die sofortige Anerkennung ihrer Asylanträge. Die zum Teil stark geschwächten Asylsuchenden wurden ins Krankenhaus gebracht. Unterstützer, die versucht hatten, die Räumungsaktion zu verhindern, wurden festgenommen. Genaue Zahlen konnte die Münchner Polizei auf Nachfrage noch nicht nennen.
Am Samstagabend hatte die Landeshauptstadt gemeinsam mit der Staatsregierung einen Vermittlungsversuch unternommen. Der frühere SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel und der ehemalige CSU-Politiker Alois Glück hatten das seit Samstag notdürftig errichtete Zeltlager in der Münchner Innenstadt besucht und anschließend im nahegelegenen Stadtmuseum ein Gespräch mit zwei Anwälten, die die Flüchtlinge beraten und deren Sprecher geführt – jedoch ohne Erfolg.
Anschließend verhandeln
„Das war eine Lachnummer", sagte Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat der taz. „Da kamen zwei respektable alte Männer, aber ohne Verhandlungsmandat." Die Flüchtlinge sollten den Hunger- und Durststreik sofort beenden, hieß es in dem Gespräch, so Thal. Danach könne man über die Bedingungen verhandeln, unter denen Menschen, die einen Asylantrag in Bayern stellen, leben müssen. Die Streikenden lehnten das Angebot ab.
„Es erfüllt uns mit großer Sorge und Trauer“, sagte Vogel nach dem Gespräch sichtlich erschüttert. Die Streikenden befänden sich in unmittelbarer Lebensgefahr. „Wir gehen hier bedrückt weg“, sagte Glück, der dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken vorsteht.
Mehr als 35 Menschen waren seit Beginn des Streiks kollabiert. Immer wieder wurden die bewusstlosen Flüchtlinge ins Krankenhaus gebracht. Die meisten kehrten schon wenig später zurück, um den Protest fortzusetzen.
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hatten sich am Samstagnachmittag bei einem Krisentreffen in der Staatskanzlei auf den Vermittlungsversuch verständigt. Ude ließ keinen Zweifel, dass der Krisenstab von Stadt und Staatsregierung Tote in München verhindern will: „Der absolute Vorrang gebührt dem Schutz von Leib und Leben“, sagte er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen