zwischen den rillen : Nick Cave ist alt geworden und würdig geblieben
Nichts als Gespenster
Ein Mann hat für seine Frau einen Garten angelegt, den er nie mehr verlassen will. Ins Draußen zurückzukehren, in die ungebändigte Natur, das könnte er nicht. Die Zeiten, sie sind schlecht, die Frau weint viel und hat Angst, er aber wird ihre bösen Träume verjagen und weiter die Nelken gießen. Aus Nick Cave, der diese Zeilen singt, dem heimatlosen Seemann, der seine Geschichten aus der Ferne brachte, ist ein sesshafter Gärtner geworden, einer, der seine Geschichten aus der Vergangenheit schöpft. Manchmal funktioniert in dieser Welt nicht alles so harmonisch, wie es sollte; aber dafür, dass der Gärtner weiß, wie feindlich es draußen ist, geht es dort ganz beschaulich zu.
Wie schon auf seinen beiden vorangegangenen geht es Nick Cave auch mit dem neuen Album „Nocturama“ wieder um Konzentration, Verknappung, Rückzug, um den Song an sich, sein einfaches Gerüst, ohne viel Schnickschnack, der ablenken könnte, ohne viel Bad Seeds, die sich zurückzuhalten haben – und darum, was schon viele besungen haben, was man aber immer wieder besungen wissen will: die Poesie des Älterwerdens, des Ankommens, der Mäßigung. Mal handeln seine Songs vom wundervollen Leben, das man finden soll, dann gesteht er sich ein, dass er eines Tages nach Hause, ins australische Kaff, zurückkehren will, dann beschreibt er sich als einen, der seiner Frau solidarisch verbunden bleibt, auch wenn sie langsam in die schrulligen Jahre kommt. Nur zwei Lieder gibt es, die selbst die darüber aufklären, wer Nick Cave einmal war, die ihn heute wie einen etwas dunkleren Johnny Cash oder Leonhard Cohen hören, als brillanten, melancholischen Singer-Songwriter.
In „Babe, I’m on Fire“, einem fast 15-minütigen, lauten, hysterischen Hammersong in vierzig Strophen an alle Freaks dieser Welt, einem Reißer, den man sich zu Hause kaum zumuten mag, beschwört er noch einmal seine exaltierte Phase, seine sakralen und überaus anstrengenden Horrorkonzerte aus den Achtzigern, als er durchweg den schwarzen Propheten gab, die Arme nach seinem Publikum ausstreckte, als wollte er es teilen wie das Meer. Was war er schön und bewundernswert, dieser Schmerzensmann.
Nick Cave war der psychotische Dichter, der heruntergekommene Bohemien, der sich auch in Berlins Kneipen und Bars von Schnaps und Drogen ernährte. Er beherrschte die Pose des arroganten Dandys sehr gut, einer eleganten, unnahbaren Figur, die in der Menge flaniert und eine Schildkröte spazieren führt – unempfindlich und kalt seine Beobachtungen macht und das Hässliche in Poesie verwandelt. Wie er Lieder über Verfall und Untergang schrieb, über verantwortungslose Säufer, Mythen aus den Südstaaten, wo die Sklaven immer noch fliehen und die Kriminellen psychopathischer sind als anderswo, das war überzeugend, wenn es auch manchmal in Peinlichkeit kippte und ins Kunsthandwerk, als er ein Buch schrieb, das sein treuster Fan nicht zu Ende gelesen haben wird, als er bei Wim Wenders eine Nebenrolle bekam oder Stücke von Kurt Weill nachsang.
Und dann noch dieser andere Song auf der neuen Platte, „Dead Man in My Bed“. Wie abgeklärte Leute sich manchmal ironisch selbst zitieren oder belustigt in alten Fotoalben blättern, so beschwört Nick Cave hier noch einmal seine alte Lieblingsfigur: die Männermörderin, die schöne, wollüstige und alles verschlingende Femme fatale, herauf. Dass es aber auch schon in den Achtzigern, diesem letzten Fin de Siècle, für Frauen mehr Rollen gab, in die sie schlüpfen konnten, scheint ihm nicht in diesem Lied, aber in vielen anderen jetzt eingefallen zu sein.
Wer wegen dieser zwei Stücke auf der neuen Platte nun bei Nick Cave auf einen Rückfall in die pubertären Verwirrungen von vor zwanzig Jahren hofft, auf den Punk, der auch vielen Grufties gefiel, der wird umsonst warten. Nick Cave ist alt geworden, vielleicht ein bisschen langweiliger, und er hat sich wie viele wilde Seefahrer ein Haus gebaut und seine blutigen Weiber endlich zu Gefährtinnen gemacht. Mag sein, dass „Nocturama“, eine Platte, die im letzten Jahr binnen weniger Wochen entstand, sich etwas zu sehr auf den noch nicht alten Routinen ausruht. Trotzdem sind darauf wieder viele Songs, die man irgendwann wird auswendig können. Und trotzdem ist Nick Cave einer der wenigen Stars, die mit Pop älter werden, ohne sich dabei lächerlich zu machen. SUSANNE MESSMER
Nick Cave: Nocturama (Mute/EMI)