zwischen den rillen : Nichts wollen, einfach sein
Musizieren nach dem Wunder: noch eins machen. „Alphabetical“, das grandiose zweite Album der französischen Band Phoenix
Vier Jahre sind eine lange Zeit, wenn man auf die Fortsetzung eines Wunders wartet. Im Jahr 2000 erschien das Debüt von Phoenix. Wie einer dieser verzauberten Träume, die auch nach dem Erwachen beharrlich weiterschwingen und manchmal den ganzen Tag unter ihren Bann stellen, so wollte auch der luftige Zauber von „United“ einfach nicht verfliegen, vier Jahre lang nicht. Ein Wunder eben. Verloren wir diese Musik, diese lächelnde Freundin, zu Hause doch einmal aus den Augen, dann begegneten wir ihr zufällig irgendwo wieder, spätnachts im Neonlicht eines südfranzöischen McDonald’s oder in einem Interview mit Tom Tykwer, an tausend Orten – zuletzt auf dem Soundtrack von „Lost In Translation“.
Und so wurde das zweite Album mit einer fiebrigen, skeptischen Spannung erwartet, der die Musik dann nur schwer gerecht werden kann. Weil es von Wundern wie von Träumen selten eine Fortsetzung gibt, weil die beste Freundin zur Fremden wird, weil die Dinge sich ändern.
Aber dann schwillt gleich am Anfang dieser weiche Keyboardklang an, federt sofort ein Schlagzeug drauflos, und gleich nach den ersten vier Takten singt Thomas Mars mit badewannenwasserwarmer Stimme: „Things are gonna change, and not for better. Don’t know what it means to me, but it’s hopeless, hopeless“ – und alles, alles ist wieder gut.
Gut, wir sollten vielleicht mal ganz sachlich über die französische Musikszene räsonieren, von Air und Daft Punk sprechen und der Schnittmenge dazwischen. Wir sollten womöglich Softrock erwähnen, den Unterschied zwischen Nostalgie und Zeitlosigkeit und die spielerische Naivität, ohne die ein Geniestreich wie „Alphabetical“ nicht möglich wäre. Aber wenn man den Phoenix-Gitarristen Laurent Brancowitz nach solchen Dingen fragt, dann wechselt der nur einen leeren Blick mit seinem Kollegen Deck d’Arcy und erzählt irgendeinen Unsinn von Ringo Starr und den Eagles, damit der Journalist etwas zum Aufschreiben hat.
Aber man sollte aus seinem Herzen keine Mördergrube machen, schwärmen wir an dieser Stelle einfach mal weiter. Über diesen sublimen Groove beispielsweise, der Geheimnis dieser Platte ist. Es treibt und schaukelt und schreitet das Schlagzeug, völlig zu Recht verliebt in seinen eigenen Klang und gefedert von gelassenen Bassläufen, synkopisch überzuckert von einem hingetupften Xylofon und geerdet von stehenden Tönen, diesen herrlich ruhig in der Landschaft stehenden Tönen, die meinen: Wir wollen nichts, wir sind einfach. Dieser unglaublich smarte, entspannte und präzise Groove ist das Tableau, vor dem sich die Dramen und Tragödien dieser Platte entfalten.
Angeblich haben die Musiker fast ein Jahr damit verbracht, diesen Groove zu finden – und sind nun selbstbewusst genug, sich quasi in die Karten gucken zu lassen. Etwa fünf Minuten nach Ende der erfreulich kurzen Platte taucht er nämlich nochmal auf, nackt, kommt aus dem Nichts, jagt einem mühelos eine Gänsehaut über Oberarme und Rücken – und verschwindet dann wieder, ein ephemeres Déjà-vu.
Wenn Phoenix sich Spielereien hingeben, dann sind es versteckte Details – Beats, die nicht einfach so verklingen, sondern sich in Pixel auflösen, ganz weit nach hinten gemixte Schellenklänge, eine titanische Triangel an der richtigen Stelle, nur ein einziges Mal oder ein organisches Schmatzen nach jedem Schlag auf die Felle.
Da haben wir noch kein Wort über die Melodien verloren, die Chor-Arrangements, haben die zahllosen Hand-Claps nicht gezählt und die wohltuend unprätentiöse Eleganz der Stimme unterschlagen – und den Genuss, den sie in sich selbst findet, wenn Thomas Mars manchmal nur so vor sich hinsummt, einfach vor sich hinsummt. Dieses verträumte Summen reicht allein schon aus, um „Alphabetical“ mit Haut, Haaren und Herz zu verfallen. Die Musik dieser Platte reicht aus für die nächste halbe Ewigkeit. ARNO FRANK
Phoenix: „Alphabetical“ (Labels/EMI)