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Archiv-Artikel

zwischen den rillen Eingedeutscht im Offbeat: Seeed und Mellow Mark

So viel Trouble in der Welt

Mit Offbeat – Reggae oder Ska, Dub oder Dancehall – verhält es sich herzlich einfach: Entweder du bewegst deinen Arsch oder du hörst besser andere Musik. Oder, wie es Seeed auf ihrem zweiten Album „Music Monks“ formulieren: „Geh uns bloß nicht auf den Sack, weil du zu feige bist zu tanzen/ Zieh die teure Jacke aus, du Körperklaus“.

Den Auftrag, Massen zum Schwitzen zu bringen, erfüllt die elfköpfige Berliner Band wie keine andere hierzulande. Mit drei Sängern und MCs, mit Bläsern und DJ sind Seeed in der Lage, das komplette Spektrum zwischen elektronischem Dancehall und erdigem Roots Reggae abzudecken. Das hat ihnen zuerst in ihrer Heimatstadt eine euphorische Live-Fangemeinde, später überraschend gute Chartsplatzierungen für ihr Debüt „New Dubby Conquerors“ beschert.

„Music Monks“ soll nun den Weg auf internationale Märkte weisen. Dass eine solche Entwicklung nicht ganz unwahrscheinlich ist, merkt man schon daran, wie nahtlos sich die jamaikanischen Stars Elephant Man, Tanya Stephens und Anthony B als Gäste ins Seeed-Konzept fügen. Umgekehrt landet jetzt hin und wieder auch mal ein Beat aus Berlin in einem jamaikanischen Studio – Seeed sind nicht nur die beste deutsche Reggae-Band, sondern erreichen durchaus Weltniveau. All das kommt ohne die Klischees des Genres aus: Sommer, Sonne, Strand sucht man ebenso vergeblich auf „Music Monks“ wie Kiffer-Seligkeit oder Aushilfs-Rastafarismus. Keine Dreadlocke weit und breit, dafür Dancehall als Vorlage für einen aktuellen, urbanen Entwurf. Für den steht exemplarisch immer noch „Dickes B“, die Hymne von Seeed an ihre Heimatstadt.

Auf „Music Monks“ fehlt eine entsprechende Signaturmelodie. Die Voraussetzungen dafür erfüllt am ehesten „Waterpumpee“, das bereits im vergangenen Sommer ein Single-Hit war. Der Rest sind grundsolide Tracks mit vertrackten Soundspielereien, dazu eingängige Melodien und eine souveräne Verschmelzung deutscher und englischer Texte. Über das übliche Wir-sind-die-Besten gehen allerdings nur wenige Songs hinaus, wenn nicht bloß die Aufforderung zum Tanz im Mittelpunkt steht. „Shake, Baby, Shake“ singen Seeed zusammen mit Elephant Man und, seien wir ehrlich: Um mehr muss es im Reggae gar nicht gehen.

Das wiederum wäre ein Satz, den Mellow Mark vehement bestreiten würde. Der gebürtige Bayreuther, der mittlerweile in Hamburg und Berlin lebt, greift auf „Sturm“ nicht wie sein ebenfalls im Reggae tätiger bayerischer Landsmann Hans Söllner auf das lokale Idiom zurück. Aber er trägt ähnlich gewaltige Dreadlocks und überfrachtet, wie Söllner, jeden Song mit Botschaft und Bedeutung.

So wortreich, dass sich die Texte im Booklet auf zwölf eng bedruckten Seiten drängeln, geht es gegen „Faschos“ und „Selbstmordattentäter-Quatsch“, gegen „Immunität und Privilegien“, gegen „Boygroups, Girlgroups“ und „das System“, gegen „US-amerikanische Barschecks“ und „Waffenhandel mit Minen und Giftgas“ – also gegen so ziemlich alles, wogegen man guten Gewissens sein kann. Fast scheint es, als hätte der 28-Jährige Angst, dieses Album könnte seine letzte Äußerung sein – da darf man nichts auslassen.

Allerdings: Im Lexikon des Gutmenschentums according to Mellow Mark reimt sich schon mal „Krieg wegen Öl mit Bush-Bush“ auf „USA-CIA-Pfusch-Pfusch“. So wird man selbst in den Antifa-AGs bundesdeutscher Gymnasien nicht richtig ernst genommen. Wenn dann im Duett mit Mamadee ohne jedes ironische Augenzwinkern und mit reichlich aufrechter Anstrengung in der Stimme „Jeden Tag so viel Trouble, jeden Tag so viel Struggle“ intoniert wird, gibt der Gestus die ehrenwerten Inhalte der Lächerlichkeit preis.

Die Songs mögen thematisch zwar aus den Nähten platzen, dafür reduziert Mellow Mark seinen Reggae, als hätte er einen Gegenentwurf zum Elf-Mann-Orchester Seeed im Sinn. Dem Großteil der Songs müssen die voll angeschlagenen Akkorde einer akustischen Gitarre genügen. Selten vervollständigen Bläser oder eine dezente Rhythmussektion, noch seltener eine komplette Band den spartanischen Ansatz zum Vollkorn-Groove. So schwingt die seltsame Mischung aus Liedermacher und Religionskrieger im Offbeat – das Versprechen der Revolution, wenn sie schon nicht kommt, ist zumindest tanzbar.

THOMAS WINKLER

Seeed: „Music Monks“ (Downbeat/EastWest); Mellow Mark: „Sturm“ (rap.de records/WEA)