zwischen den rillen: Nie genug ist nie genug
Das Wichtigste vornweg: Um die Musik von Playboi Carti ertragen zu können, bedarf es der Kunst des konzentrierten Weghörens. Man muss lernen, seine Texte zu ignorieren. Ohne diese lassen sich die Stärken seines dritten Albums „Whole Lotta Red“ aber genießen. Ohne die Musik bliebe es eine Sammlung unsinniger Slogans, die vor allem nervt.
Es ist nämlich so: Playboi Carti, 25, geboren in Atlanta, Georgia, der Geburtsstädte von Trap, hat nichts zu erzählen. Doch dafür hat er viel Stil. Stil meint in seinem Fall nicht nur extravaganten Geschmack für Mode, Coverartwork und Musikvideos, sondern vor allem einen guten Riecher für die klangliche Ebene und Arrangements seiner Songs. Außerdem hat er ein Talent dafür mit seiner Stimme immer neue, furchteinflößende, liebliche, nach einem akuten medizinischen Notfall klingende Laute zu erzeugen und sie klug anzuordnen. Bei Playboi-Carti-Sound geht es also vor allem um die richtige Komposition und das bestmögliche Arrangement von Klängen, aber ganz sicher nicht um die Inhalte.
Er selbst nimmt dabei die Rolle einer Art unerschöpflichen Sounderzeugungsmaschine ein, schreit, krächzt, gurrt, flüstert. Das ist der Grund dafür, dass Playboi Carti in den USA ein Superstar ist. Sein Stilbewusstsein sorgt für Hits. Er erreichte mit „Whole Lotta Red“ gerade den ersten Platz der US-Billboard-Charts und hat eine fanatische Fanbase, die in den letzten zwei Jahren über immer neue Wege versuchte, an das bereits angekündigte, aber bis vor Kurzem unvollendete Album ihres Idols zu gelangen. Sogar Hacker sollen versucht haben, sich die Songs abzusaugen. Zwei Jahre ohne neue Veröffentlichung sind für einen Vertreter der aktuellen Trap-Generation, die ja eigentlich dafür bekannt ist, möglichst viel Musik hintereinander zu veröffentlichen, mindestens eine halbe Ewigkeit. „Whole Lotta Red“ ist nun eine einstündige Zurschaustellung des Stilvollen und eindrucksvolles Beispiel dafür, wie umwerfend Repetition sein kann.
Der Auftaktsong des Albums heißt „Rockstar Made“ und auf ihm ist eigentlich schon alles gesagt. Erstens, das Playboi Carti reich zu sein scheint. Zweitens, dass er gerne Sex mit Frauen hat und sein Frauenbild fragwürdig ist. Drittens, dass er teure Dinge mag. Viel mehr Themen werden auf dem Album nicht behandelt und kreativ verpackt werden sie auch nicht. Carti schreit Slogans. Ende.
Viel spannender ist, das Playboi Carti auf dem ersten Song wieder und wieder, insgesamt 44-mal, die Phrase „Never too much“ rappt, als gäbe es für ihn kein größeres Anliegen. Die Worte verlieren nach und nach jede Bedeutung und verwandeln sich in einen hypnotischen Soundwulst. Solche Wiederholungen gibt es bei fast jedem Song. Sobald jene Worte nicht mehr inhaltlich, sondern nur noch als Klang wahrgenommen werden, beginnt der große Spaß: Die Musik versammelt unzählige schöne, verstrahlte und verzerrte Synthesizerriffs. Auf einigen Songs („King Vamp“, „Control“) erinnern sie sogar an Sounds von Lady Gaga-Smashern wie „Poker Face“. Unterlegt sind diese Sounds immer von nie enden wollenden hektischen Drumpatterns und Basslines, die oft genauso kaputt klingen wie Playboi Cartis Stimme.
„Whole Lotta Red“ ist der pure Hedonismus. Es geht um blinden Fun, Gesellschaftskritik fällt aus. „Never too much“ als Slogan bleibt in jeder Sekunde präsent. Die Songs wirken dadurch wie der Kreislauf eines tumben Partyanimals, das einfach nicht weiß, wann Schluss ist. Doch man könnte das Album auch als Dissoziationsstrategie verstehen – das große Verdrängen von Playboi Carti. Während einem der wenigen intimen Momente rappt Playboi Carti beim Song „No Sl33p“: „When I go to sleep / I dream bout murder“. Trap als Albtraum. Johann Voigt
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