zwischen den rillen: Kein Wunderkind, kein Hund
Es gibt im Kulturbetrieb manch Etikett, das seinen Trägern mehr schadet als nutzt. „Wunderkind“ zum Beispiel – ein Lob, dessen implizite Erwartungshaltung wie ein Wackerstein am Hals der aufstrebenden Künstlerin hängt. Im Indie-Rock muss sich derzeit Sophie Allison alias Soccer Mommy mit dieser überlebensgroßen Auszeichnung herumschlagen.
Noch nicht lange her, da lud die Künstlerin aus Nashville verhuschte, nur mit Gitarre instrumentierte Lo-Fi-Miniaturen auf der Plattform „bandcamp“ hoch. Es folgten einige Tapes, die den Hype um die junge Frau befeuerten. Knapp zwei Jahre später hat die 21-Jährige mit ihrem Album „Clean“ bereits eine Rundfahrt durch viele Bestenlisten hinter sich.
Allison wurde zudem gemeinsam mit Kolleginnen wie Courtney Barnett und St. Vincent zur Speerspitze einer angeblich neuen weiblichen Rockmusik erklärt. Eine These, die inhaltlich zwar nicht mehr bieten kann als die bloße Gemeinsamkeit Gitarre spielender Frauen, aber der Musikindustrie als Verwertungsstrategie dient. „Das ist ermüdend“, sagt Allison. „Es ist zwar toll, wenn damit Mädchen ermutigt werden, Rockmusik zu spielen. Andererseits verhindert es den Diskurs über die dahintersteckende Kunst.“
Allisons Erfolgsgeheimnis liegt in der Leichtigkeit, mit der sie ihre Selbststudien zur emotionalen Blaupause macht. In ihren Songs geht es ums Erwachsenwerden, um diesen nervösen Zustand zwischen Angst und Zuversicht, Liebe und Enttäuschung. „Eigentlich komponiere ich immer nur für mich“, sagt sie. „Offensichtlich können sich viele damit identifizieren. Letztlich geht es nur darum, wie man als junger Mensch verzweifelt versucht, jemand anderes zu werden.“
„Clean“ ist ihre erste „richtiges“ Platte, wie sie sagt. Eine Abkehr von den zusammengewürfelten Bedroom-Songs ihrer Anfangstage und ein Bekenntnis zum Album als kohärentes Format. „Ich wollte etwas schaffen, dass in sich stimmig ist.“ Das ist ihr gelungen, „Clean“ ist eine Platte, mit der sie den Spagat zwischen DIY-Punk-Vergangenheit und schimmerndem Indie-Pop mühelos meistert. Die Künstlerin, die bereits im Alter von fünf Jahren mit dem Gitarrenspiel begonnen hat, setzt dabei ihr Instrument extrem clever ein: Besonders mit dem Einsatz von offenen Stimmungen schafft sie einen sanft umflossenen Hallraum, der Platz für ihre eigene Stimme lässt.
Was Soccer Mommy aber vor allem vom Lo-Fi-Rock-Bodensatz abhebt, ist die unverhohlene Liebe zu den großen Melodien des Radiopop. „Ich bin nun mal mit Avril Lavigne aufgewachsen. Ihre Musik wird immer einen Platz in meinem Herzen haben“, sagt Allison. Wie sie die Eingängigkeit zuckriger Refrains mit inhaltlichen Brüchen versetzt und verfremdet, macht „Clean“ so bemerkenswert. Da wird schon mal Iggy Pop eine charmante Absage erteilt. „I don’t wanna be your fucking dog“, macht sie in „Dog“ unmissverständlich klar.
Bleibt also die Sache mit dem Wunderkind. Ob der plötzlich einsetzende Erfolg viel geändert habe, wurde Allison gefragt. „Na ja, ich treffe jetzt auch meine Idole, darunter sind leider ganz schöne Deppen“, antwortete Allison. „Man lernt schnell.“ Es scheint, als müsse man sich keine Sorgen um die Zukunft von Soccer Mommy machen. Alexander Graf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen