zwischen den rillen: Wenn die Beale Street bebt
Soulsville-USA, so ist der Spitzname von Memphis, am Mississippi in den Südstaaten gelegene Stadt, deren Sehenswürdigkeiten mit Musik zu tun haben: Die Garage, in der Jim Stewart 1957 das Label Stax gründete. 706 Union Avenue, wo der DJ und Toningenieur Sam Phillips 1950 sein Sun Studio eröffnete, in dem etwa Johnny Cash und Elvis aufnahmen. Und die Beale Street, in deren Bars Muddy Waters und B. B. King schon einige Jahre zuvor eine raue Form des Blues entwickelt hatten, benannt nach seinem Entstehungsort: Memphis Blues. Memphis, Tennessee, ein Mythos, ohne den weder noch Blues noch Rock ’n’ Roll noch R&B in ihrer heutigen Form existieren würden.
Ebendort kam 1950 auch Denise Garrett zur Welt, die sich als Künstlerin Dee Dee Bridgewater nennen sollte. Ihr Vater betreute als Musiklehrer Jazzgrößen. Die Garretts zogen zwar nach Michigan, aber Denise wurde schon als Kind vom „Soulsville“-Fieber gepackt. Sie fummelte nachts so lange an der Antenne herum, bis sie WDIA-Memphis empfangen konnte – den ersten Südstaaten-Radiosender, der speziell für ein afroamerikanisches Publikum sendete. Dort hörte sie Songs von Isaac Hayes und Pops Staples, aber auch Werke des genialen Produzenten Norman Whitfield, der später in Detroit für Bands wie die Temptations Songs komponierte.
Nun verneigt sich Bridgewater, inzwischen Grammy-gekrönte Jazzsängerin, vor ihrer Geburtsstadt: „Memphis … Yes, I’m Ready“ ist nach „Dee Dee’s Feathers“, einer Würdigung der Jazzmetropole New Orleans, nun der hinreißend klingende Gruß an Memphis. Bridgewater interpretiert Songs lokaler Künstler, wie Hayes, Staples und Whitfield. Aufgenommen hat sie diese in den Royal Studios von Memphis und als Koproduzenten den Saxofonisten Kirk Whalum engagiert. Den kennt man für sein Solo in Whitney Houstons Schmachtfetzen „I Will Always Love You“. Auf dem von einem verschleppten Beat angetriebenen Elvis-Cover „Don’t Be Cruel“ zeigt Whalum bei Bridgewater, dass er auch derbere Phrasierungen spielen kann.
„Hound Dog“, ein anderer, von Elvis bekannt gemachter Song, ist die bemerkenswerteste Adaption auf diesem rockenden Gospel-Soul-Album. Greil Marcus schrieb in seinem Buch „Mystery Train“ einmal über diese Komposition von Jerry Leiber und Mike Stoller: „Weiße haben ihn komponiert, ein Weißer machte daraus einen Hit. Und doch bleibt unwiderlegbar, dass ‚Hound Dog‘ ein ‚schwarzer‘ Song ist, der unabhängig von den Impulsen durch schwarze Musik undenkbar wäre.“
Dee Dee Bridgewater führt „Hound Dog“ zurück zu seinen afroamerikanischen Ursprüngen, sie singt ohne Überschwang und ganz sicher ohne jeden weißen Hüftschwung-Machismo. Wobei „Singen“ ungenau ist; sie beginnt mit Jaulen, vollführt Sprechgesang, steigert sich zu Heulen und Stöhnen. Es ging in dem Songtext übrigens nie um einen Bluthund, er handelte von einem sexuell aktiven Gigolo. Bridgewater vergegenwärtigt das mit jenem tief empfundenen Blues, der in einer Beale-Street-Pinte vor 70 Jahren der Performance einer berauschten Sängerin erst den nötigen Drive gegeben hat.
Memphis mag längst musealisiert sein. Natürlich gibt es dort Erinnerungsorte und Museen, die an die glanzvolle Musikhistorie erinnern. Doch noch immer wird direkt daneben signifikante Musik aufgenommen. So wie die von Dee Dee Bridgewater. Verhalten beginnt sie mit dem konventionellen Blues von Barbara Masons „Yes, I’m Ready“, bald aber explodiert der satte Funk von „Can’t Get Next To You“. Bridgewater und ihren Mitstreitern gelingt ein Kunststück, sie schaffen gritty Retrosound, der eben nicht auf Hochglanz poliert ist. Konsequenterweise klingt „Memphis … Yes I’m ready“ mit einem Gospelsong aus, den Elvis genauso sang wie vor ihm unzählige Afroamerikaner: „(Take My Hand) Precious Lord“. Die Orgel wimmert, die Sängerin juchzt, die Beale Street bebt.
Jan Paersch
Live: 30. Oktober, „Philharmonie“ Essen
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