zwischen den rillen: Die britische Jugend redet ihm nach dem Mund
Er gilt als Aushängeschild des HipHop-Dialekts Grime. Tausendmal schon wurde dieses Subgenre totgesagt und ist immer wieder auferstanden. Nun veröffentlicht Skepta ein neues Album: „Konnichiwa“ entwickelt sich zum Hype der Stunde in Großbritannien.
Joseph Junior Adenuga, wie Skepta bürgerlich heißt, startete 2007 als Spätzünder aus dem Ostlondoner Viertel Tottenham seine Rapper-Karriere. Von Anfangserfolgen geblendet, verlor er sich bald in belanglosem Gangsta-Gehabe. Respekt erhielt er erst 2014, als Skepta plötzlich mit selbstreflexiven Reimen auftrumpfte: „Yeah I used to wear Gucci / I put it all in the bin cause that’s not me“, rappte er bedrohlich auf einem rohem Bass-Minimalismus in dem Track „That’s not me“. Nun also funktionale Sportbekleidung.
Der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Härte und inszeniertem Glamour war immer Antrieb für Grime. Näher dran ist die Jugend aus den Sozialbauten allerdings an Rave-Kultur und ihren raschen Stilwechseln zwischen 2Step, Garage und Drum’n’ Bass und den anderen ultraschnellen, basslastigen Spielarten, die den Sound der Clubs auf der Insel dominieren. Der dort zelebrierte Eskapismus hat wiederum wenig mit dem Alltagsleben zu tun. Wahrscheinlich entwickelte sich deswegen ein genuin britisches HipHop-Subgenre, das mit wabernden Bässen und Billo-Synthie-Schnipseln zwar den Dancefloorsound zitiert, aber in lyrischen Ausrastern die Unzufriedenheit verbalisiert: Grime.
Junge Männer verschaffen sich damit Gehör. Sie geben sich Tag-Namen wie Wiley oder Nasty Crew und beginnen Battles über wilde Bass-Abfahrten. Grime ist von Anfang an probates Mittel zum Kräftemessen und um eine Wertschätzung zu erlangen, die den Jugendlichen ansonsten von der Gesellschaft verwehrt bleibt. Aus den Kellern heraus kapert das neue Genre die Londoner Piratensender. Es entwickelt sich autark von den US-amerikanischen HipHop-Pionieren und versucht die eigenen Soziolekte nicht zu verstecken. Zwischen BBC-Mainstream und Uniradio schmuggeln sich Grime-Rapper in die Sendungen. Die Musikindustrie beginnt daraufhin ihre Fühler auszustrecken und sorgt fast für den Kollaps des Genres.
Dizzee Rascal zum Beispiel, der erste Grime-Star, wird 2003 für sein Debüt „Boy In Da Corner“ mit dem Mercury Prize ausgezeichnet. Mit dem Erfolg geht ihm das Rohe, Umstürzlerische verloren. Auch anderen Szenegrößen ergeht es nach Flirts mit Majorlabels ähnlich. Die Essenz von Grime: Das Dilettantische, die unbändige Energie und die subversive Note sind wieder in die Keller verbannt worden und in verbalen Nichtigkeiten verebbt.
Bis 2014, als Skepta mit „That’s Not Me“ eine Lawine lostritt. Sicher ist auch die Frustration über das Scheitern in der bürgerlichen Musikwelt ein Grund für die erneute Entschlossenheit und die Autonomie von amtlichen Produktionsweisen. Auf dem neuen Album bäumt sich Skepta in dem Track „It Ain’t Safe“ gegen die auch in England omnipräsente rassistische Polizeiwillkür auf und reißt Grime mit dem entschlossenen „Shutdown“ aus der Depression.
Orientiert hat er sich beim Sound von „Konnichiwa“ an den alten Kumpels aus dem Viertel, mit denen der Hüne vegetarisch essen geht, wie er auf dem wutbeladenen „Man“ andeutet. „Came a long way from when whites never used to mix with blacks / Now all my white niggas and my black mates, we got the game on smash“, skandiert er und zerschlägt die Schwarz-Weiß-Denke, die ihn im Alltag noch immer zu verfolgen scheint. Mit dem Zeitgeist kollidieren die minimalistischen, von Garage und Dubstep beeinflussten und durch kurze Synthie-Schnipsel untersetzen Instrumentals dabei nicht.
„Konnichiwa“ ist musikalisch egoistisch: Es geht um die uneingeschränkte künstlerische Selbstverwirklichung Skeptas. Damit verschafft er sich Gehör, gibt aber auch den Namenlosen aus Tottenham eine Stimme. Ohne dass er es darauf angelegt hätte, ist dem 33-Jährigen damit zündende Sozialkritik gelungen. Die britische Jugend redet ihm bereits nach dem Mund. Johann Voigt
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