zwischen den rillen : Der Schlag auf den ganz großen Gong
Kante legen mit „Die Tiere sind unruhig“ ihr neues Album vor. Die anderen deutschen Bands können jetzt nach Hause gehen
Sie erschließt sich schnell. Man muss keine Germanistikseminare, keine Kurse in Musikwissenschaft besucht haben, um das vierte reguläre Album der Hamburger Band Kante nicht nur zu verstehen, sondern auch fühlen zu können. „Die Tiere sind unruhig“ heißt sie, die Unruhe hat sich in die Musik gelegt. Sie ist so etwas wie die Rockplatte der Band, die einst als wortlose Postrockcombo anfing, um dann das verlorene Erbe der kritischen Blumfeld anzutreten.
Rockplatte? Rockplatte. In den Infozetteln betont die Band das Spontane, das Hingehauene, den Spaß. „This record should be played loud“ steht groß und verschmiert auf der Hülle. Was eine dämliche Anweisung ist. Leise wirkt die Platte nämlich genauso gut. Hingehauen? Nein, es ist irgendwas zwischen „Chicago und Queens of the Stone Age“, wie der neue Starproduzent Moses Schneider sagt, ein Monster an Produktion, ausgefeilt, episch, groß. Mit Bläsern und Orchester.
Das Eröffnungsstück ist zugleich das Titelstück, es bietet eine Anbindung zum Vorgänger „Zombi“, Sänger Peter Thiessen widmet sich seinem Lieblingsthema, nämlich der „die Stadt“ (sie bleibt als solche immer unbestimmt) erreichenden Apokalypse. „Es könnte jeden Moment passieren / Ich seh’s in den Straßen / Am Hunger der Stadt“. Dazu dängelt eine U2-Gitarre, was wahlweise ein Anklang an „The Unforgettable Fire“ oder „Where the Streets Have No Name“ ist – bessere Referenzen als man gemeinhin annimmt. Kante als U2 ohne Religionskitsch. Stück 2, „Ich hab’s gesehen“, hat man so schon mal gehört, ein böses Stück mit Anklängen an frühe Blumfeld und „Ich habe Stimmen gehört“ von Tocotronic. Es bleibt beim Thema: „Ich sah die Stadt in Aufruhr stehen.“
Ganze sieben Stücke sind auf der Platte, jedes einzelne ist mindestens sechs Minuten lang, Punkrock geht anders. „Nichts geht verloren“ ist das erste Stück der Platte, das eine neue Welt aufmacht. Der Text findet zurück in eine Gegenständlichkeit, schließlich hat es sich genug von Tieren und Fabelwesen gehandelt, hier kommt endlich wieder ein Realitätsbezug. Vielleicht ein kleiner Schritt für Kante, ein großer aber für die Gesamtheit der ehemaligen, allmählich nach Berlin auswandernden Hamburger Schule. „Nichts geht verloren“ setzt sich mit „Sex in einer langen Beziehung“ (Thiessen im Infotext) auseinander. Sexualität und Wahrheit: Etwas wird nicht nur an-, sondern ausgesprochen. Dass mit „Körper“ eines der Thiessen’schen Lieblingswörter allzu oft fällt, ist zu verschmerzen. Sonst ist dieses liebesnachterprobte Stück Musik ein Muster an Explizität, die nicht peinlich, sondern notwendig ist.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt kennt die Band kein Halten mehr: „Die größte Party der Geschichte“ übt sich in Ironie, das Stück bekommt einen Hüftschwung Disko verpasst. „Die Hitze dauert an“ schließlich ist das große Finale, ein langes, zähes Epos, eine Erlösung am Ende. Zwar scheint immer mal wieder das große Vorbild Jochen Distelmeyer auf, in den Zeilen, in der Musik, besonders in der Benutzung der Stimme – mit „Die Tiere sind unruhig“ aber haben die Fünf von Kante zu sich selbst gefunden. Und in Moses Schneider den Produzenten, der hier nicht nur eine neue Definition von „glatt“ hinlegt, sondern ein Gefühl für eine Band mitbringt, der es um musikalische Vielfalt geht. Ganz Hamburg kommt inzwischen nach Kreuzberg gekrochen, um diesen neuen Meister an den Reglern haben zu können, dieser Steven Soderbergh der deutschen Musikindustrie.
In diesem von guten deutschen Platten reichem Jahr liegen Kante ganz vorne. Nach dem Obst-&-Gemüse-Album von Blumfeld, dem beizeiten platten Agitrock der neuen Goldenen Zitronen, einer fast peinlichen Tomte-Platte und guten, letztlich zu wenig überragenden Outputs von den Berliner Bands Britta und NMFarner scheinen wir hier einen Gewinner zu haben. RENÉ HAMANN
Kante: „Die Tiere sind unruhig“(Labels/EMI)