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zwischen den rillenJazz nach Marsalis: Brian Blade Fellowship und Roy Hargrove

ZURÜCK VOM MILLION DOLLAR HOTEL

Brian Blade besteht darauf, Botschaften zu haben. Das hat er von Dylan und Mitchell. Der Schlagzeuger ist eine neue Stimme unter den jungen Jazzmusikern der Post-Marsalis-Generation, die sich über die mögliche Wirkung ihrer Musik wieder Gedanken machen. Blade hätte gern, dass die Leute seiner Musik nicht nur genau zuhören, sondern selbst bei reinen Instrumentaltiteln wie „From The Same Blood“ – dem musikalischen Epizentrum seiner neuen, zweiten CD „Perceptual“ – in der Lage sind, die gesellschaftskritische Nachricht zu erkennen.

Blade könnte Geschichten erzählen, die top secret sind. Zum Beispiel davon, wie er mit Brian Eno und Bill Frisell und einem Haufen weiterer obskurer Egotypen in ein kleines Studio gesteckt wurde, um stundenlang zu jammen. Eine kleine Ewigkeit später wusste angeblich keiner mehr, was eigentlich genau geschehen war. Nur dass Hal Wilner, der Mann, der sie alle zusammentelefoniert hatte, gerade seinen nächsten Soundtrack aufgenommen hatte und dass sie fortan zur Million Dollar Hotel Band gehören würden. Im Unterschied zu einer richtigen Band jedoch wurde das musikalische Produkt dieser Zusammenkunft prominenter Einzelgänger erst durch Anwendung von Overdubs und anderen Tricks zu einem Verkaufsobjekt, der Pianist Brad Mehldau wurde erst später dazugemischt.

Blade kann mit solchen Produktionsweisen gut umgehen. Auch wenn im Jazz noch auf die physische und visuelle Nähe gesetzt wird, am besten alle in einem Raum und auf einer Bühnenebene, gerade auch das Schlagzeug, damit das Timing stimmt. Eigentlich vermutet man Blade gar nicht im Jazz, obwohl er in Louisiana aufwuchs, in New Orleans von Ellis Marsalis lernte und mit Pat Metheny tourte. Dass er auf der Bob-Dylan-CD „Time Out Of Mind“ spielte, mit Burt Bacharach aufnahm und Schlagzeuger in Joni Mitchells CD- und Tourband wurde, das – so ließe sich vermuten – reicht weiter, als Jazz je greifen wird. Doch dazu kommt noch: Brian Blade ist Blue Note Recording Artist. Das heißt, er zählt bereits zu den Auserwählten, egal ob er nun immer nur an Jazz denkt oder nicht.

Der 29-jährige Blade hat eine eigene Band, „Fellowship“ nennt er sein Septett. Damit will er deutlich machen, dass ihm der gemeinsame Sound wichtiger ist als die üblichen Selbstdarstellungsmuster in Form nicht enden wollender Soli. Das gelingt ihm auf „Perceptual“ allerdings nicht durchgängig. Es wimmelt da zwar von schnell gebrochenen Klangflächen, und doch kommt nur der Schlagzeuger ohne solistische Etüdenschau aus. Allein in „The Sunday Boys“ singt eine Bassklarinette von der inneren Ruhe der tiefen Töne, sonst prägt Blades Hang zur Gitarre die meisten Stücke seiner neuen CD. Er gibt zu Protokoll, dass er zum Komponieren das Gefühl brauche, dass ein physischer, ein akustischer Druck auf ihn ausgeübt werde – deshalb immer eine Gitarre im Gepäck. Noch besser als die CD ist Fellowship im Club: Brian Blades Band outete sich gerade als Live-Event dieser Jazzsaison.

Einer der nach wie vor besten Live-Solisten der Post-Marsalis-Generation hingegen, der Trompeter Roy Hargrove, fischt mit seiner neuen CD arg im neotraditionalistischen Tümpel. In seiner Generation ist er der bekannteste amerikanische Jazztrompeter, und mit seiner neuen CD klebt Hargrove kräftig in der Spur seines einstigen Mentors Marsalis, obwohl er auf dessen Swing-Kanon und engstirnige Jazz-Definition eigentlich nicht abonniert ist.

Hargrove ist für die Bläserparts auf D’Angelos „Voodoo“ verantwortlich und war gerade mit Erykah Badu im Studio; seine neue CD „Moment To Moment“ dokumentiert nun den dreißigjährigen Hargrove – drei Jahre nach seiner mit dem Grammy ausgezeichneten CD „Habana“. „Moment To Moment“ reiht sich ein in die mannigfaltigen Versuche seiner Plattenfirma Verve, mit Balladen und Sinfonieorchester-Appeal ein neues Publikum für ihre Jazzkünstler zu finden. Fans seiner afrokubanischen High-Energy-Band Crisol mögen abwinken, wenn sie diese CD hören, die vom Sounddesign her für ein abonniertes „Fünfzig plus“-Konzertsaal-Publikum gedacht ist. Als besonderen Einfluss für seine Balladeninterpretationen nennt Hargrove den Gesang von Shirley Horn; er wolle ihre ganz besondere Art, die Songtexte zu artikulieren und ihnen Raum zum Atmen zu geben, mit seinem Instrument nachempfinden. Das Ergebnis ist gleichwohl nicht sehr überraschend, so oft sind „You Go To My Head“ und „The Very Thought Of You“ schon aufgenommen worden. Im Gegensatz zu Blade ist Hargroves Balladen-CD zu einer reinen Produzentenkiste seines Managers Larry Clothier geraten. Klamottig, berechenbar, verschwenderisch.

CHRISTIAN BROECKING

Brian Blade Fellowship: „Perceptual“ (Blue Note), Roy Hargrove: „Moment To Moment“ (Verve)

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