zwischen den rillen: Menstruations-Pop: Sinéad O’Connor meint es ernst
Blut und Tränen
Sinéad O’Connor meint es ernst. Alles was sie gemacht hat, hat sie ernst gemeint, und wenn sie ihre neue Platte „Faith And Courage“ nennt, dann ist das blutiger Ernst. So blutig wie die Schrift auf der CD. Menstruations-Pop erster Güte. Eine Frau auf der Suche nach sich selbst.
So war es schon immer. Sie feuerte ihren ersten Produzenten, um „The Lion and the Cobra“ selbst aufzunehmen, verteidigte die IRA, ließ ihre Stimme von einer Oktave in die andere schnappen, weinte in ihren Videoclips und sah mit ihrer Glatze und den Combatstiefeln nicht nur wild und gefährlich aus, sondern war es auch. Sie weigerte sich, in der amerikanischen Fernsehshow „Saturday Night Live“ aufzutreten, wenn die Nationalhymne gespielt werde – was Frank Sinatra dazu brachte anzukündigen, „I’m gonna kick her ass“ – und als sie dann doch auftrat, zerriss sie das Bild des Papstes. Auch sonst machte sie Wirbel, wo immer sie konnte. Ihren Entdeckern von U 2 sang sie ein „This is a rebel song“ hinterher. Das war überzeugend, weil nie gespielt. Das war kontrovers und wies einer ganzen Reihe von weiblichen Künstlern den Weg.
Eigentlich könnte sie es sich bequem machen, ihre Erinnerungen zu bunten Blättern pressen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Doch nichts da. Nach zwei groß angelegten Flops versucht Sinéad O’Connor sich noch einmal am großen Werk. Alles sagen, nichts verschweigen. Würde man sie fragen, würde sie wahrscheinlich sagen, es sei ihre persönlichste Platte. Und das darf man wörtlich nehmen. „I have a universe inside me“, hebt die Platte an. Und das ist noch lange nicht alles.
Es geht um Angst, Schmerz, Eifersucht, darum, dass darüber reden mitunter besser ist, als alles in sich reinzufressen, um Göttinnen und um „The state I’m in“. Das, was alle schon immer zu wissen glaubten, weiß Sinéad O’Connor jetzt auch selbst. Vor einigen Wochen gab sie bekannt, lesbisch zu sein. Dass ihr Coming-out nun mit der Veröffentlichung des Stücks „No Man’s Woman“ zusammenfällt, würde man bei allen anderen Künstlerinnen wahrscheinlich Kalkül nennen, bei Sinéad O’Connor kann man davon ausgehen, dass ihr Management weiß, dass solche Dinge verkaufsfördernd sind, sie selbst meint es aber vor allem ernst.
Musikalisch bietet „Faith and Courage“ das volle All-Star-Programm der Produzentenkunst der letzten fünfzehn Jahre: vom Reggae-Veteranen Adrian Sherwood über Dave Stuart, von den Eurythmics bis zu Wyclef Jean, der sonst für Gruppen wie Destiny’s Child die Beats schmiedet, sogar Brian Eno ist mit von der Partie. Alle kramten ein paar Tracks aus ihren Schubladen und ließen Sinéad O’Connor drüber singen: Perfekt und schaurig schön. Selbst ihren Ex-Ehemann John Reynolds hat sie für das Stück übers Drüber-Reden noch mal ins Studio geholt. Und zu dieser hochproduzierten State-of-the-Art-Popmusik posiert Sinéad O’Connor in roten Kleidern, und lässt hellrote Flammen auf ihren demütig gesenkten Kopf herunterregnen.
Vertrauen und Mut, Katholizismus und Auflehnung, Sex und Gewalt, Verzweiflung und Harmoniesuche, Selbstaufgabe und Ich-Überhöhung, Rückzug und extensive Ausbreitung von allem, was man vielleicht so genau gar nicht wissen will – das volle Programm.
Kein Wunder, dass Sinéad O’Connor irgendwann einer bizarren christlichen Sekte anheim fiel, ein Umstand, der auf ihrem neuen Album zu Zeilen führt wie „I’ve got a lovin’ man but he’s a spirit“. Die letzten Worte der Platte sind „Christ have mercy“: Being Sinéad O’Connor muss eine ziemliche Experience sein.
TOBIAS RAPP
Sinéad O’Connor: „Faith and Courage“ (Eastwest)
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