zwischen den rillen: Wo Song war, soll Track werden: Tocotronic und Absolute Beginner im Remix
Weggesprengte Gesangslinien
Am Anfang stand die Bearbeitung des Blumfeld-Stücks „Tausend Tränen tief“ von DJ Koze. Die Richtung war damit vorgegeben: Hamburger Schule und elektronische Tanzmusik müssen sich nicht ausschließen, im Gegenteil. Denn wenn der Hamburger Rock schon nicht mit authentischen Rockposen, sondern mit Formen spielte, warum sollte man sich nicht die Produzenten elektronischer Musik ins Boot holen, mit denen man ein bestimmtes Post-Indie-Grundverständnis teilt.
So gaben Tocotronic die „Freiburg“-Single des ersten Albums zum Verhackstücken frei – was Console mit Bravour erledigten – und dann ihr ganzes Album „KOOK“. Also: Textzentriertes Original trifft auf soundzentrierte Remixer. Bänder mit den Tonspuren gehen raus, Variationen kommen zurück.
Nun dienen Remixe ja üblicherweise dazu, einen gewissen Crossovereffekt herbeizuführen. Wo Song war, soll Track werden – Musik für den Konzertsaal, für zu Hause oder fürs Radio soll sich in Musik für die Tanzfläche verwandeln. Die Dramaturgie des Songs muss durchbrochen und die Gesangslinie weggesprengt werden: wo Refrain war, soll Hookline sein.
So ist das normalerweise. Und so ist das auch bei einigen der „KOOK“-Variationen. Nun gehören aber die Mehrzahl der geladenen Produzenten nur bedingt zu denen, die straightes Dancefloor-Material herausbringen. Und weil sie ein ähnlich spielerisches Selbstverständnis im Umgang mit dem Formenkanon der elektronischen Musik haben wie Tocotronic im Umgang mit Rock, wird eigentlich nicht richtig gecrossovert, sondern eher der Spielraum erweitert. Wobei man sich manchmal fragt – wozu eigentlich? Tanzen kann man nicht dazu, mitsummen auch nicht – und warum jagen die Jungs vom Digital Hardcore Label ihre Vorlagen einfach so lange durch irgendwelche Effektgeräte, bis es nur noch brummt? Ist das jetzt Kunst?
Versöhnt wird man dann wieder durch DJ DSL, der „Let there be rock“ in swingenden Barjazz umbaut, gebrochen durch die Synthie-Fanfare aus dem Original. Genau jener DSL veredelt auf der Remixplatte der Absoluten Beginner deren „Liebeslied“ mit einem Steely-Dan-Sample. Ansonsten ist hier aber alles anders: Kein Crossover, sondern das Gleiche noch mal. Nur anders.
Für „Bambule: Boombule“ wurden keine genrefremden Remixer eingeladen, sondern fast nur solche Leute, mit denen die Beginner ohnehin die Tage und Nächte verbringen – Leute, die rund um die Eimsbush-Studios angesiedelt sind. Da wird über die Vorlagen gesungen, dazu gerappt, alles noch einmal umgestürzt und wieder neu aufgetürmt, dass es eine Freude ist. Wahrscheinlich ist das all der gut gelaunte Unfug, der sich im Laufe der Zeit ansammelt, wenn eine Gruppe von Menschen jahrelang miteinander abhängt, die Sachen der anderen in- und auswendig kennt und jetzt endlich die Gelegenheit hat, sämtliche Restideen und Anmerkungen loszuwerden.
Gut die Hälfte der neuen Versionen stammen dabei von den Beginnern oder ihrem Produzenten Matthias Arfmann selbst und sind somit eigentlich keine Remixe, sondern Updates. „Boombule“ ist ein Album in seinem eigenen Recht. Es klingt so, als hätten sich die Beginner überlegt, dass „Bambule“ ja nun auch schon wieder fast zwei Jahre alt ist – immer noch amtlich, aber nicht mehr wirklich auf der Höhe der Zeit. Denn zur Zeit läuft Reggae. Und wenn die Coverversion von „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ des Beginner-Sängers Eißfeld schon andeutete, dass man in Deutschland Pop auf Rootsreggae-Basis machen kann, und das Album des Hamburgers Patrice so etwas wie die Morgendämmerung war, dann zeichnet sich hier der neue Tag an. Es geht. Man kann es schon hören.
Tocotronic: „KOOK Variationen“ (L'age d'or / Zomba); Absolute Beginner: „Bambule: Boombule – The remixed Album“ (Buback/ Motor)
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