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zwischen den rillenNeues von Wu-Tang Clan und Outkast

Reduktion revisited

Die Reduzierung geht weiter. Das neue, offiziell dritte Album des Wu-Tang Clan ist nur mehr schlicht „The W“ betitelt. Wohl wissend, dass man sich nach mehr als 20 Soloplatten und sonstigen Veröffentlichungen in sieben Jahren mittlerweile als Markenartikel etabliert hat. Komischerweise scheint die Welt trotz dieser Wu-Flut noch nicht genug gekriegt zu haben von kranken Beats und rohen Reimen. Stattdessen stieg „The W“ auch hierzulande auf Nummer 11 in die Charts ein.

Nach ihrem Debüt, dem Meisterwerk „Enter The Wu-Tang: 36 Chambers“ war das nachfolgende „Wu-Tang Forever“ kaum schlechter, wurde aber als Stagnieren auf hohem Niveau gesehen. Kritik: Wu-Mastermind und -Produzent RZA hatte auch mal andere an die Regler gelassen. Dass er nun wieder allein für den Sound verantwortlich zeichnet, dürfte „The W“ nun wohl wieder als Meisterwerk abgenickt werden.

Tatsächlich bleibt die Fähigkeit von RZA bewundernswert, mit ihren düsteren, sperrigen, puristischen, sich nahezu allen Mainstream-Anforderungen konsequent verweigernden Sounds kommerziellen Erfolg zu haben. Wieder mal sucht man auf einer Wu-Tang-Platte vergeblich nach Hits. Hat ein Stück, wie das auch prompt als Single ausgekoppelte „Gravel Pit“, tatsächlich einen der so beliebten Mitsing-Refrains mit Frauenstimme, dann bricht es mitten drin einfach mal zusammen wie ein Kartenhaus und löst sich in ein babylonisches Stimmengewirr auf, bevor es wieder zu sich findet. Aber immerhin: Die Modernität klopft an. Auch im Clan hat man nun Reggae entdeckt und Junior Reid gleich zwei Auftritte auf „The W“ zugebilligt. Überhaupt hat man sich zum ersten Mal auf ein offizielles Wu-Tang-Album Gäste eingeladen: mit Redman, Snoop Dogg, Nas und Isaac Hayes aber nur die absolute Prominenz.

Was dem Wu-Tang Clan mit „Wu-Tang Forever“ passiert ist, droht nun Outkast mit ihrem vierten Album „Stankonia“. Das Duo aus Atlanta wird unweigerlich am zwei Jahre alten Vorgänger „Aquemini“ gemessen werden, der von allen Seiten die höchsten Weihen bekam, so vom Rap-Zentralorgan The Source die zuvor nur ein halbes Dutzend Mal vergebene Höchstwertung.

Damals schockierte man die konservative HipHop-Welt mit verhältnismäßig aufgeklärten, politisch bewussten und antisexistischen Raps und dem extravaganten, cross-dressenden Outfit von Rapper Andre 3000. Dass sich HipHop bis heute pikiert fragt, ob Andre schwul ist, daran konnte auch eine Beziehung und ein gemeinsamer Sohn mit Erykah Badu, die hier einen Gastauftritt hat, nichts ändern. Ergänzend verwirren Outkast mit einem Eklektizismus, der unerhört war in einem Genre, in dem es immer noch erfolgversprechend ist, über ein paar harten 08/15-Beats Schwanzlängen zu diskutieren.

Outkast stattdessen reanimieren die Disco-Kultur der Seventies: glamourös, spaßfixiert, eklektisch und sexuell eindeutig uneindeutig. Mit Stil. Viel Stil. Trotzdem aber wird HipHop hier ganz bewusst in die Tradition eingebunden gesehen, als Teil einer linear organischen Entwicklungslinie, die von heute über Disco, Funk, Jazz und Soul bis zum Blues zurückreicht. Dank dieser Rückbesinnung wird schlussendlich Rap selbst transzendiert. So wird die Lehrstunde auch auf „Stankonia“ zum Laboratorium, möglicherweise nicht so bahnbrechend wie auf „Aquemini“, aber nicht minder eindrucksvoll.

Während dort noch coole Fingerschnippness eine Hauptrolle spielte, steht nun endgültig allein der Funk von George Clinton oder des frühen Prince im Mittelpunkt, auch wenn parallel so ziemlich alles stattfinden kann. Souverän schaffen Andre Williams und Kollege Big Boi den Spagat, eingängig wie die Hölle zu sein und sich trotzdem den nötigen Abstand zum Mainstream zu bewahren. Songs wie „Ms. Jackson“, eine Entschuldigung an alle Mütter der Welt für das, was Männer ihren Töchtern angetan haben, schmiegen sich passgenau ins Radio, während ein sperriger High-Speed-Rap wie „B.O.B.“ in einem ziemlich widerlichen Heavy-Metal-Gitarren-Solo ausklingt, als sollte mit Macht bewiesen werden, dass Outkast vor nichts, wirklich nichts zurückschrecken.

THOMAS WINKLER

Outkast: „Stankonia“ (LaFace/Arista/BMG)Wu-Tang Clan: „The W“ (Loud/Epic/ Sony)

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