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zwischen den rillenDeutscher Folk Hop: Lecker Sachen aus Köln

Spiel mir das Lied vom Lurch

Wer zwei Frauen liebt, wird möglicherweise von beiden gehasst. Und wer zwei Musikstile zusammenzwingt, kann es sich mit den Fans beider Szenen verscherzen. Zumal es auch in der Musik ein paar Dinge gibt, die nicht so richtig zueinander passen: Tango und Techno, Country und Calypso oder Folk und HipHop. Umso interessierter aber schaut die Welt, wenn sich doch jemand an der Synthese versucht. Zum Beispiel nach Köln, wo die Band Lecker Sachen Folk HipHop produziert – mit deutschen Texten und irischen Instrumentaleinlagen.

In der deutschen Folk-Szene kommen Lecker Sachen damit gut an. Die Folkies wissen, dass man sie für altbacken hält, und sind daher umso offener für alle Neuerungen. Folk Metal, Folk Techno und nun also Folk HipHop. Warum nicht? Man ist tolerant und fühlt sich sogar ein bisschen auf der Höhe der Zeit.

Zu HipHop-Jams werden Lecker Sachen dagegen selten eingeladen. Ungewohnte Töne hört man dort zwar gerne, aber dafür gibt es ja Samples. Wer braucht da eine Band mit Flöte, Mandoline und Geige? Lecker Sachen fühlen sich deshalb leicht ungeliebt und haben ein Lied dazu geschrieben: „Raus mit dem Folk aus dem wahren HipHop“.

„Raus“ ist auch der Titel der neuen Lecker-Sachen-CD, wobei hier noch was anderes gemeint ist: raus mit dem Stecker aus der elektrischen Steckdose. „Raus“ ist also ein Unplugged-Album, live eingespielt und gleich zwei CD-Seiten lang.

Wie schon auf der ersten CD „Im Tal der Infrarotlurche“ ist das mit der Synthese aber doch schwieriger, als es klingt. Da gibt es immer wieder Stücke mit viel Sprechgesang, aber wenig Folk-Einflüssen. Und groovende Folk-Instrumentals, bei denen Sänger Markus Brachtendorf allenfalls mal „Yo, Yo“ und „Ja, Ja“ dazwischenruft.

Aber wahrscheinlich sind Lecker Sachen ohnehin vor allem eine Popband. Und wer ihre Selbstbezichtigung („Folk Hippop“) genau betrachtet, erkennt, dass sie den Popanteil auch nicht verschweigen. So wäre das Stück „Ich lieb dich immer noch“ reiner Pop, wenn es nicht vom Tod eines Lurchs im Terrarium handelte. Aber nachdem Brachtendorf den Text etwas umgeschrieben hatte, landete es mit der Gruppe Basis tatsächlich in den deutschen Charts. Über die skeptischen Einwände von Plattenfirmen („Ich hör die Single nicht“) können die Lecker Sachen daher nur lachen.

Doch breite Anerkennung lässt noch auf sich warten. Folk HipHop hat es hier zu Lande einfach schwerer, auf unvoreingenommene Neugier zu treffen, als etwa in Frankreich, wo die Gruppe Manau mit ihrem Rap Celtique an eine real existierende Bretagne-Welle anknüpfen. Dort landeten sie mit „La Tribu de Dana“ den Single-Bestseller des Sommers 1998.

Und dann sind Lecker Sachen auch nicht strategisch genug. Statt das eigene Konzept mal konsequent umzusetzen, wurde es auf „Raus“ schon wieder halb ironisch weitergedreht. So lud man für die CD-Aufnahme auch ein Streichertrio ein, das in Rap-Diktion als „Gangsta String Trio“ bezeichnet wird, aber vielen Stücken eher eine lyrisch-süßliche Seite hinzufügte. Vor lauter Verspieltheit macht das Kölner Sextett manchmal einfach zu viele Schritte auf einmal.

Dabei haben Lecker Sachen gar nichts gegen Marketing und versorgen ihre Fans mit sympathisch albernen Hörspielen und unpraktischen Accessoirs. Neben dem „Duftlurch“ und „Lurchbadesalz“ gibt es zum Beispiel den Taschenlurch („in schwierigen Situationen wirst auch du ihn ganz plötzlich in der Hand halten“). Das ist kein Merchandising mehr, sondern emotionale Rundumversorgung. Und wenn es nach der Band ginge, würden alle Anhänger ihre musikalische Herkunft einfach vergessen und wären nur noch Lecker-Sachen-Fans.

CHRISTIAN RATH

Lecker Sachen: „Raus“ (jig it/nrw)

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