piwik no script img

zwischen den rillenUnited Colors of Pop: Bran Van 3000 betreiben Eklektizismus à gogo

Testament der Liebe

Es ist nicht anzunehmen, dass James Di Salvio der Name Jochen Distelmeyer etwas sagt. „Discosis“ jedenfalls, das zweite Album seines Projektes Bran Van 3000, möchte ein „Testament der Liebe“ sein, keines der Angst. Wo die letzte Blumfeld-Platte mit „Grauen Wolken“ beginnt, startet „Discosis“ mit der bewährten Schmelzstimme von Curtis Mayfield, die seiner Liebsten, uns, euch, der Oma, dem bösen Nachbarn und der ganzen Welt verspricht: „All I wanna do is love you“.

Es folgen: ein Liebeslied, eine Liebeserklärung an Montreal, die Heimatstadt von Bran Van 3000, eine Liebeserklärung an eine Straßenkreuzung, die zur Block-Party wird, und die Liebeserklärung an die eigene Band. Schließlich wird gar glücklich zum „Love Cliché“ gefunden. Der alles beherrschende Eindruck: Diese Platte will die Welt in Einklang bringen. Alle Geschlechter und Völker leben in Harmonie, das Leben ist schön, ein einziges Fest.

Unterstützt werden Bran Van 3000 dabei neben Mayfield, den Di Salvio monatelang anbettelte, bis er schließlich einen rumliegenden Schnipsel zur Verfügung stellte, vom HipHop-Veteran Big Daddy Kane, der senegalesischen Pop-Institution Youssou N’Dour, dem Qawwali-Sänger Badar Ali Khan, der Dancehall-Ikone Eek-A-Mouse und dem britischen Sonderling Momus, die allesamt ihre markanten Stimmen beisteuern. Der Erfolg von „Glee“, dem Debüt seiner Band, und vor allem der Single „Drinkin’ in L.A.“, die Bran Van 3000 allerdings ein wenig zutreffendes Slacker-Image verschaffte, hat es Di Salvio ermöglicht, diese United Colors of Pop zusammenzubringen.

Damit geht der Versuch Di Salvios, den Eklektizismus musikalisch wie personell an seine Grenzen zu treiben, in eine zweite, ungleich internationalere Runde. Für „Glee“ versammelte Di Salvio, der das familiäre Arbeitsprinzip seines großen Vorbilds John Cassavetes bewusst auf die Musik übertrug, vor vier Jahren mehr als 20 Musiker aus dem Bekanntenkreis, die dann vornehmlich auf der Grundlage von Gitarren-Pop und HipHop experimentierten. Während „Glee“ eine leicht melancholische Grundstimmung hatte, dominieren nun auf „Discosis“ Soul und Dancefloor, eher leichtfüßige Stile mit überbordender Gefühlswelt bis zur Hysterie. Mit im Angebot aber auch: Funk-Bässe, ein paar Takte mathematisch konstruierte Drum & Bass-Beats, hysterische New-Wave-Chöre, verträumte Akustik-Gitarren-Intros, afrikanisches Getrommel, Bettgeflüster, jazziges Gedaddel, Latino-Rhythmen, schönste Synthie-Geigen aus der Disco-Ära, HipHop-Breaks, liedermacherhafte Besinnlichkeit und vieles mehr. Mal wird in Hochgeschwindigkeit getanzt, mal geschmust, bis man keine Luft mehr kriegt, und mal scheint Joan Baez von den Todlangweiligen wieder auferstanden. Alles ist möglich, solange das Herz nur am rechten Fleck sitzt.

Intelligent Dancefloor nannte man das mal. Man kann es auch Diebstahl nennen oder Ausbeutung. Di Salvios Talent besteht vornehmlich darin, das Unvereinbare erst einmal zu denken. Wie der Regisseur, der er einmal war, bringt er dann die Talente zusammen, die seine Vision zum Klingen bringen könnten, und versorgt sie mit dem Bewusstsein, dass es keine Regeln zu achten gibt. Diese Arbeitsweise – das gegenseitige Befruchten, bewusste Stehlen und Zitieren – funktioniert wie ein Work in Progress auf der Suche nach einem endgültigen, wahrhaftigen Sound der Liebe, den es natürlich nicht geben kann. So hört sich mancher Song auf „Discosis“ zwar nicht ganz abgeschlossen an. Aber auch das funktioniert wieder ganz prächtig als Zitat.

THOMAS WINKLER

Bran Van 3000: „Discosis“ (Grand Royal/ Labels/ Virgin)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen