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zwischen den rillenDavid Bowie sammelt seine Persönlichkeiten

Die Angst im Anzug

Den Anzug sieht man nicht sofort. Erst im Booklet der CD zeigt David Bowie, was ein Mann Mitte fünfzig heute trägt: Hedi Slimane. Der Herrendesigner von Dior hat einen knabenhaften Look zu seinem Markenzeichen gemacht, selbst Karl Lagerfeld musste 40 Kilo abnehmen, damit er in Slimanes Konfirmandenanzug passt. Bowie brauchte sich vermutlich nicht so sehr zu quälen, der war nie richtig fett. Trotzdem fragt man sich, wieso ein erfolgreicher Künstler seines Alters diesen Zirkus mitmacht, und stellt dann fest: aus Angst. Weil der beengende Schnitt von Slimane einem das Gefühl zurückgibt, noch etwas reißen zu können. Weil er wie ein Korsett wirkt, aus dem sich ein Bowie oder Lagerfeld wieder befreien müssen, nein – dürfen. Im Interview mit dem Rolling Stone hat der Sänger seine Situation ganz hübsch formuliert: „Was ich heutzutage vermisse, ist das tolle Gefühl, ein junger Mensch zu sein. Das Schöne daran ist the delight of becoming, dass man in einem ständigen Reifeprozess steckt und jedes Kapitel des Lebens entdecken und erforschen kann.“

Insofern ist der Anzug ein Bild für den Engpass, ein Moment der Konzentration, in dem die allmählich schwindende Kreativität auch physisch gebündelt wird, damit es noch einmal richtig knallt. Für Bowie war ein solcher Akt der Sammlung nötig. 25 Platten in 35 Jahren, da hat man als Musiker einen Freischein, eine Lizenz zum Weitermachen, die von der Industrie als Anerkennung für bisherige Erfolge vergeben wird – und es ist auch ein Wink, sich endlich aufs Rententeil abzusetzen, bevor andere darüber entscheiden. Gleichwohl ist Bowie mit „Heathen“ finanziell sogar noch weiter aufgestiegen. Nach dem Wechsel von EMI zu Sony kann er jetzt auf seinem eigenen Label veröffentlichen, das wird auch die Bowie-Aktie an der Börse ein wenig nach oben bewegt haben. Aber ein Rest Unsicherheit in Sachen Poptauglichkeit bleibt, schließlich hat die Welt nicht auf ein Bowie-Album mehr gewartet, sie muss ja schon das Comeback von Oasis und den Pet Shop Boys verarbeiten. Auch das kennt man von Bowie: Spätestens seit „Let’s dance“ stellt man stets mit Erleichterung fest, dass es so schlimm nicht gekommen ist, wenn er eine neue Platte herausbringt. Dann mag zwar „Earthling“ 1997 im Nachhinein als wirre Drum-&-Bass-Collage durchgehen und „Hours …“ vor drei Jahren als weinerliche Mischung aus Klampfe und Pathos – alles besser als blondierte Dauerwellen-Disco und „Put on your red shoes and dance the blues“.

Ohnehin wird von Bowie jede neue Erscheinung an den Siebzigerjahren gemessen, die mittlerweile selbst bei seinen Kritikern ein diffuses, mythenverhangenes Zeitalter sind. Damals ging alles viel zu schnell: Zwischen dem Piraten-Camp von „Diamond Dogs“ und dem Lederdiktator auf „Heroes“ lagen kaum vier Jahre. Seither wird zäh Exegese betrieben, wird im kleinsten Gitarrenriff nach historisch greifbarer Wiedererkennbarkeit gesucht – immer in dem Wunsch, dass es bei Bowie doch bitte sein soll, wie es früher war. Erinnert der monotone Molleinstieg von „Thursday’s Child“ nicht an das Intro von „Wild is the wind“ auf „Station to Station“? Hebt die Stimme hier und dort nicht immer noch hysterisch ab wie bei „Heroes“? Sind wir mit Bowie nicht alle ein bisschen „Scary Monsters“ geworden und geblieben?

Auf dieser Suche nach der verlorenen Zeit ist „Heathen“ keine Ausnahme und dennoch der Glücksfall. Bowie spielt Bowie nicht als Steinbruch seiner eigenen Vergangenheit, sondern ruhig und beherrscht – scheiß auf den Zeitgeist, er war ja selbst mal einer. Sture Uptempo-Rocker wie „Slow Burn“ werden mit knatschenden Synthesizern und Gitarrenkrach à la Pete Townshend abgebremst; aus Neil Youngs Sixties-Love-Schnulze „I believe in you“ wird eine heisere Glam-Meditation; und wenn Bowie mit „I took a trip on a gemini spacecraft“ den durchgedrehten Psychobilly Hasil Adkins aka The Legendary Stardust Cowboy grüßt, dann reichen Düsenantrieb-Beats und Vocals, leicht wie Teppichflusen, sich die Hand.

Überhaupt geht „Heathen“ souverän mit dem Material um, das – Adorno sei Dank – historisch sich sedimentiert hat: Es sortiert all die bisherigen Bowie-Experiences, schärft die Seventies-Reminiszenzen mit Hightech aus 2002, nimmt liebevoll auf die Depro-Elektronik der „Heroes“-Phase Bezug, und sagt doch immer: Ich bin’s, einer von den vielen, die für euch jedes Mal ein anderer waren. Man kann auch Melancholie dazu sagen, in die sich Bowie hineinsingt, wenn er etwa zur Eröffnung von „Sunday“ singt „Nothing remains“, und später mit „Everything has changed“ antwortet. Dann geht er an seine Bibliothek, blättert in Nietzsches „Fröhlicher Wissenschaft“ und denkt sich schöne Sätze aus, die in Songs wie „Afraid“ gut aufgehoben sind: „I believe we’re not alone / I believe in Beatles“. Schon dafür lohnt sich der neue Anzug.

HARALD FRICKE

David Bowie: Heathen (ISO Records/ Sony)

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