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Archiv-Artikel

zwischen den jahren Kannst du den Bass fühlen?

Rock verblasste 2004 weiter – doch es ist nicht alles Niedergang: Erneuerung kommt von den Rändern des HipHop-Universums

Alles Neue in der Popmusik entsteht aus der Radikalisierung bestimmter Elemente des Alten. Vielleicht war es ein wenig zu viel an Altem, was dem Neuen in den vergangenen Jahren im Weg stand, zu viel der digitalisierten Datenpakete aus allen Epochen populärer Musik, die auf den Download und die Durcharbeitung wartete – so sehr man auch suchte, und obwohl im Zehnjahresrhythmus popkultureller Erneuerung eigentlich seit der Jahrtausendwende überfällig, wollte sich der Paradigmenwechsel partout nicht einstellen.

Nun dürften die Epochen definierenden Musikstile ohnehin der Vergangenheit angehören, aus dem ganz profan außermusikalischen Grund, dass seit dem Ende der Blockkonfrontation und dem Beginn dessen, was man gerne Globalisierung nennt, zwar HipHop zur weltweit dominierenden Musik geworden ist – diese Musik ihre Kraft aber gerade aus ihrem glokalen Charakter zieht, also ihrem Netzwerkcharakter: ohne lokale Identifikation keine globale Kultur.

Doch die anderen aus England oder den USA ausgesendeten Zeichensysteme verblassen immer weiter. Und wenn sie noch einmal eine gewisse Kraft entfalten, wie etwa im Fall der britischen Band The Libertines, dann nur, weil es gelingt, dem unaufhaltsamen Verfall des Rock noch einmal einen neuen Aspekt abzuringen. Die Libertines kann man sich als die erste Band vorstellen, die das Prinzip der MTV-Sendung „Behind The Music“ zum konstitutiven Merkmal ihres Tuns erhob. Werden dort die großen Geschichten der großen Bands der großen Vergangenheit in immer neuen, ewig gleichen Und-dann-wäre-die-Band-beinahe-auseinandergebrochen-weil-XYs-Drogenkonsum-außer-Kontrolle-geriet-Schleifen erzählt, errichteten sich die Libertines auf dieser Erzählung eine kleine Gegenwart. Warum mit diesen Geschichten für die Vermarktung der Best-of-Platte zwanzig Jahre später warten, wenn die Aufmerksamkeitsökonomie heute ruft? Das war manchmal traurig, manchmal amüsant, mitunter auch bewegend zu hören. Aber nicht mehr.

So war the most anticipated record of the year jenes kulturellen Kontinuums auch Brian Wilsons sagenumwobenes Meisterwerk „Smile“, das eigentlich das Album des vergangenen Jahrhunderts hätte werden sollen, es in seiner aus der Zeit gefallenen psychedelisch-sinfonischen Entrücktheit bei aller Schönheit aber nicht zur Platte des vergangenen Jahres brachte.

Doch auch HipHop scheint etwas von seiner Integrationskraft zu verlieren – was nicht zuletzt mit dem Niedergang des Musikfernsehens zu tun haben dürfte. Der Aufstieg von HipHop zur global dominierenden Popmusik wäre ohne die Kunstform des Videoclips nicht denkbar gewesen. Doch wo sich die konstitutiven Merkmale des HipHop-Videos – bitches, whips & cribs, Frauen, Autos und Villen – in eigene Fernsehformate aufgelöst haben – Pornografie, „Pimp My Ride“ und „MTVs Cribs“ –. ist der eigentliche Videoclip überflüssig geworden.

Die aufregenden Musikstile des vergangenen Jahres kamen von den Rändern, aus den bisher untermedialisierten Zonen des HipHop-Universums, aus einem lose zusammenhängenden Underground, der mit Bass-Kultur nur unzureichend beschrieben ist. Für Crunk etwa, die vollkommen überdrehte HipHop-Spielart des amerikanischen Südens, ist der Rapper zwar auch die Zentralfigur, aber nicht als Geschichtenerzähler, Angeber oder Glaubwürdigkeitsbeschaffer, sondern schlicht als MC. Als Schreihals, der die Partycrowd mit „Yeaaaaaah!“- und „Whaaaaaaat!“-Schreien zu immer neuen Tanzschritten zu animieren versucht.

Ansonsten basiert Crunk auf dem gleichen Basskick des Roland 808-Synthesizers, auf dem Afrika Bambaataa schon vor mehr als zwanzig Jahren sein „Planet Rock“ programmierte. Ein Sound, der seitdem vor allem in den Stripclubs von Miami zu überwintern schien. Ein Sounddesign, das sich interessanterweise genauso in den Ghettos von Rio de Janeiro findet. Zwar gibt es auch den dort regierenden Baile Funk schon ewig, dieses Jahr fand er jedoch zum ersten Mal seinen Weg auf die Plattenteller der westlichen Metropolen. Und im Grunde könnte man auch Grime, den aktuellen Sound der Londoner Unterschicht, auf dieser Karte eintragen: HipHop-geprägt, lokal verwurzelt, global angekoppelt, bassgetrieben. Ähnliche Szenen dürften sich überall auf der Welt finden, mit größerer oder kleinerer Aufmerksamkeit jenseits des eigenen Horizonts gesegnet – auch Chicago House arbeitete des Öfteren mit ganz ähnlichen Strukturelementen.