zusammengesetzt: Die Demokratie braucht mehr kleine Räume
Wo und wie wir – also wir als Gesellschaft – miteinander über ernste Probleme sprechen können, das ist eine wichtige Frage. Einerseits hat die Privatisierung der Öffentlichkeit die Räume schon ganz schön dicht gemacht, in denen nicht nur Meinungsäußerung, sondern auch Austausch möglich ist. Andererseits war die Covid-Zeit eine große Übung des Ausweichens, in der sich eben auch die Erfahrung machen ließ: Die Freiheit der Andersdenkenden, schön und gut, aber die von den Andersdenkenden, diesen Nervpocken, hat zumindest den Vorteil, bequem zu sein.
„Die Pandemie hat uns als Menschen voneinander entfernt“, bestätigt auch Shai Hoffmann am Dienstag in Bremen. Hoffmann ist auf Einladung des Rats für Integration da, Einerseits wird er mit Jouanna Hassoun – sie ist Muslima und Palästinenserin, er Israeli und Jude – am Mittwochabend im Europa-Punkt das gemeinsame Buch „Trialog“ vorstellen. Am Donnerstag besuchen die zwei die örtliche „Inge Katz-Schule“ um mit Schüler*innen im Dialog Gedanken über den Nahost-Konflikt zu entwickeln, die denen etwas in die Hand geben können, sich der emotionalisierenden Propaganda auf Insta und Tiktok zu entziehen, oder wenigstens: sie zu reflektieren. Vorher aber lässt er die ganz normalen Normalos aufeinander los, und zwar in einem Tiny-House.
„Über Israel und Palästina sprechen“, steht, in weißen Buchstaben auf dem blauen Plakat am Eingang. Ein Titel, der so nüchtern-sachlich wie nur möglich, dazu einlädt, sich auf die Sicht von Mitmenschen einzulassen, die nicht ein Algorithmus, sondern der pure Zufall und ein spontaner Impuls an denselben Ort geführt haben, in denselben Raum, an denselben Tisch: „Was gibt es besseres, als in einem Haus jemandem gegenüber zu sitzen, um sich mit ihm wenigstens zu unterhalten“, so Hoffmann.
Der Nahe Osten, der von einem klaren Vernichtungswillen getragene Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 einerseits, der maßlose Krieg Israels gegen Gaza andererseits, ist nicht der einzige, aber der am stärksten polarisierende Konflikt, für den die deutsche Gesellschaft nur selten eine dringend benötigte gemeinsame Sprache findet: In der müsste es möglich sein, das Leid der einen zu benennen, ohne das der anderen im Dienste einer vor allem disziplinierenden Staatsräson zu bagatellisieren. In ihr müsste es möglich sein, zu analysieren, wo die eigenen Vorurteile, antisemitische oder antimuslimische Ressentiments, das Urteilsvermögen trüben. Sie müsste Worte haben für die jeweiligen Verbrechen, ohne dafür in entmenschlichenden und dämonisierenden Jargon zu verfallen.
Stattdessen ist es eher so, wie Hoffmann sagt: „Beide Seiten können einander gar nicht mehr wahrnehmen.“ Es sei denn als Bedrohung: Radikal in der Minderheit an deutschen Schulen, erfahren jüdische Kinder dort beschämend wenig Rückhalt.
Das Minihäuschen als Rahmen für ein Gespräch mit Unbekannten, das ist eine Zumutung. Aber gerade das macht die Idee genial. Denn, ja, klar, alle, die hierherkommen, sind erst einmal guten Willens. Wer sich hier hineinbegibt, bringt zudem die Bereitschaft, wenn nicht das Bedürfnis mit, sich im stressigen Vorweihnachtskonsumzwang einem nur schwer konsumierbaren Thema zu widmen und sich anderen Perspektiven auszusetzen. Gerade aber die Enge, der unvermeidliche körperliche Kontakt, der nicht wirklich angenehm ist, das hat eine zivilisierende Wirkung: In kleinen Räumen wird seltener geschrien, aber man kann auch schlecht weghören, wenn jemand etwas sagt. Und wenn man sich so auf die Pelle rückt, geht man einander nicht an den Kragen: Für so große Bewegungen ist ja kein Platz.
Was aber bei diesem maximal-emotionalen Stoff funktioniert, das sollte auch mit anderen Gegenständen klappen: Gesprächsräume zu wechselnden Themen auf jedem Marktplatz, und unsere Demokratie hat noch eine Chance – sofern sie nur klein genug sind.
Benno Schirrmeister
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