zeitreise mit stein von WIGLAF DROSTE :
Im siebten Band der „Schwarzen Serie“ von Jörg Schröder und Barbara Kalender, „Klasse gegen Klasse“, wird mein alter Freund und Kollege Michael Stein als guter Berliner Anarchist gewürdigt. Aus diesem Anlass hörte ich noch einmal Steins Krimi-Hörspiel „Pointer und die Herren im Dunkeln“ von 1988. Eine wilde Reisejagd mit der Zeitmaschine ist das, mitten hinein in den korrupten Westberliner Sumpf, in die Zeit, als Richard von Weizsäcker mit seiner „Wollt ihr die totale Gehirnwäsche?“-Rede gerade den letzten Rest von Verstand aus der Bundesrepublik herausversöhnt hatte. Was der silbrig parlierende Weizsäcker als Regierender Bürgermeister Berlins mit seinem aristokratischen Geblähe wirklich meinte, ließ er seinen Innensenator Heinrich Lummer zeigen: Knüppel aus dem Sack!
Lummer heißt bei Stein Tummler; an den Fersen des Exsenators mit rechtsradikalen Vorlieben klebt Pointer, ein Kreuzberger Privatdetektiv, der sich selbst einen „seit drei Tagen nicht gewaschenen Bukowski für Anfänger“ nennt. Er findet die Leiche in Tummlers Keller, die in der wirklichen Wirklichkeit Klaus-Jürgen Rattay hieß – das war der Name des jungen Mannes, der in Schöneberg unter nie geklärten Umständen von einem Bus ergriffen und zu Tode geschleift wurde.
Bei Stein wird aus Rattay Pointers Freund Pete, und einer seiner Mörder gesteht in der Kneipe die Tat, angemessen untermalt von Peter Maffays „Über sieben Brücken musst du gehn“-Brotaufstrichgesang: „Dieses verlauste Dreckspack! Bolle abjebrannt, unsre schöne Magnetbahm abjebrannt, diese Schweine! Nochen Korn! Da müsste mal so richtich durchjejriffen werden, so richtich! … Damals ham wa ooch nich jebremst. Nee, wirklich, wir ham sojar noch mal jewendet … noch mal rüba … und denn ab auf die Müllkippe!“
Um diese Begebenheit herum drapiert Stein, der auch Bassist einer legendären Band mit dem hinreißenden Namen „PillePalle und die ÖtterPötter“ ist, eine Persiflage auf Jerry-Cotton- und Mickey-Spillane-Krimis. Seinem Pointer verpasst er „eine kleine miese Bude mit Pissbecken und Kaltwasserboiler“, in die sich, so ist es Gesetz, „eine atemberaubende Blondine“ verirrt, die Pointer auf die Jagd schickt. „Ich brauche Ihre Hilfe“, haucht sie. „Das habe ich gehofft“, knörzt Pointer retour. „Mach mit mir was du willst!“, verlangt sie – er coolt zurück: „Da sag ich doch nicht nein.“
Es ist die Zeit der Kreuzberger Kiezkrawalle, und weil es noch Tempo gab und Wiener, ölt auch ein ahnungsloser Zeitgeistschreiber durchs Quartier. Knarren heißen „Eisen“, man trifft sich in der „Oranienbar“ und raucht „Kreuzberger Homegrown“. Dennoch ist das auch heute noch keine Kreuzberg-Folklore – in Zeiten, in denen die Attac- und Juso-Mitschunkelband „Wir sind Helden“ als politisch gilt und von Bild entsprechend als „Deutschlands intelligentester Pop-Artikel“ gefeiert wird, ist es erfreulich, einen Autor wiederzuhören, der die Jauche der Politik transparent machen kann. Und auch ansonsten klar sieht. „Ich traute ihm nicht für’n Sechser“, lässt Stein seinen Pointer sagen. Schon für die Begründung lohnt sich die Hörstunde: „Männer ohne Frauen sind die letzten Pfeifen.“