zahl der woche : Das US-Handelsdefizit hat einen neuen Rekord erreicht
Gebt euer Geld in die USA!
Von wegen, US-Amerikaner kaufen patriotisch. Im vergangenen Jahr jedenfalls haben sie sich vor allem gerne im Ausland eingedeckt. Hauptsächlich mit Autos, Möbeln und Schmuck, aber auch mit Wein, Käse und anderen Leckereien. Und zwar für 435 Milliarden US-Dollar mehr, als sie durch den Export ihrer eigenen Produkte wieder hereinbekommen haben. Das Außenhandelsdefizit entspricht einem Anteil von 4,2 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP), also der Summe aller im Land produzierten Waren und Dienstleistungen – und ist Rekord. Das bislang höchste Defizit hatte das Handelsministerium in Washington im Jahr 2000 verzeichnet. Es betrug 379 Milliarden Dollar. Für die Leistungsbilanz, zu der auch Dienstleistungen und Kapitalerträge zählen, rechnen Experten mit einem Minus von einer halben Billion Dollar, das wären 5 Prozent des Bruttosozialprodukts.
Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Denn die US-Wirtschaft ist immer noch eindeutig stärker als die in Japan, den Ländern Mittelamerikas oder Europas. Aus dem Ausland ist deshalb kaum eine größere Nachfrage zu erwarten. Zumal der Dollar – nicht so sehr gegenüber dem Euro, aber gegenüber den anderen Währungen – immer noch stark ist und US-Waren im internationalen Vergleich verteuert. Ausländische Waren dagegen dürften für US-Bürger weiterhin erschwinglich sein – wenn sie sie denn wollen und nicht dem Boykottaufruf konservativer Politiker folgen.
Mit dem überraschend schnellen und steilen Ansteigen des Defizits ist ein Problem wieder akut geworden, von dem Notenbankchef Alan Greenspan in den letzten Jahren immer wieder laut gehofft hatte, dass es sich „langsam und von selbst auflösen“ würde. Denn der riesige außenwirtschaftliche Fehlbetrag der USA stellt ein zentrales Risiko für die gesamte Weltwirtschaft dar.
In den meisten anderen Ländern hätte ein ähnliches Defizit längst zu einer existenziellen Krise geführt. Unter anderem weil der Dollar immer noch als Weltleitwährung gilt, ist es den USA bislang jedoch gelungen, das Defizit durch gigantische Kapitalzuströme zu finanzieren. Selbst wenn die Importe die Exporte überschreiten, kommt so immer noch Geld ins Land, das treibt die Währung in die Höhe und zieht in der Folge immer noch mehr Devisen an.
Nur: Ein Abonnement darauf haben die USA nicht. Die internationalen Investoren kommen nur, so lange sie darauf vertrauen, dass sie Gewinne machen. Sollten sie sich plötzlich entscheiden, beispielsweise auf den Euro umzusatteln, käme die gesamte Konstruktion ins Wanken. Der Dollar fiele, immer mehr Anleger zögen ihr Geld zurück, die Börsen gerieten ins Rutschen. Daraufhin könnte die Notenbank sich gedrängt fühlen, die Zinsen anzuheben. Privatleute und Unternehmen, die auf Pump konsumiert oder investiert haben, dürften ganz schön in Schwierigkeiten geraten.
Und der Rest der Welt? Bei dem wäre Schadenfreude ganz fehl am Platz. Denn bei der gegenwärtigen Abhängigkeit von den USA als Wachstumsmotor – die die Handelsbilanz schließlich gerade wieder bestätigt hat – muss man auch hier mit Verwerfungen rechnen. Und die fangen bei Währungsschwankungen an und enden mit Exporteinbrüchen noch lange nicht. BEATE WILLMS