zahl der woche : Wohl wahr: Chinas Wachstum
Wer im Westen früher chinesische Angaben über das Wirtschaftswachstum in der Volksrepublik studierte, hegte stets den Verdacht, dass sie schöngefärbt waren. Dafür gab es gute Gründe. Sowohl die Peking direkt unterstellten staatlichen Großbetriebe als auch die einzelnen Provinzen neigten beim Statistikrapport zur Überplanerfüllung. So versuchten Unternehmensführungen und Provinzregierung in den Zeiten der Planwirtschaft die Gunst Pekings zu erschwindeln.
Heute liegt das Statistikproblem woanders. Das aber führt dazu, dass die gestern vom staatlichen Statistikbüro in Peking gemeldeten 9,1 Prozent Wirtschaftswachstum im Vergleich zum Vorjahr für die drei Monate Juli bis September trotz ihrer atemberaubenden Höhe vermutlich ziemlich nah an der Wirklichkeit liegen. Denn einerseits wird in den alten Teilen der chinesischen Volkswirtschaft weiterhin der Plan übererfüllt, andererseits wird ein großer Teil des Wachstums in neuen Industriebereichen gar nicht von den Statistikern erfasst.
Etwa die Hälfte des chinesischen Bruttosozialprodukts (BSP) wird inzwischen von Privatunternehmen erwirtschaftet. Ihre Bilanzen aber gehen in der Regel unterbewertet in die Statistik ein. Das liegt an einem noch sehr rudimentären, erst im Aufbau befindlichen Steuersystem und an dem Interesse der Unternehmer, ihre Gewinne vor dem Fiskus zu verheimlichen. So trägt die Korruption, das Grundübel des Einparteiensystems, heute nicht mehr nur maßgeblich zur Anhebung, sondern auch zur Senkung der Statistik bei. Zumal es für Parteikader und Bürokraten bei den boomenden Privatunternehmen inzwischen mehr einzustecken gibt als bei den stagnierenden Staatsbetrieben. Da Letztere mit ihren schöngefärbten Bilanzen weiterhin die zweite Hälfte des BSPs erwirtschaften, dürfte sich der Effekt auf die Statistik in etwa ausgleichen.
Ohnehin kommen die höchsten Wachstumszahlen für China heute nicht mehr von der Pekinger Regierung, sondern von westlichen Großkonzernen. So schätzt General Motors, der größte Autohersteller der Welt, dass die Zahl der verkauften Kraftfahrzeuge in China sich von 2,1 Millionen im Jahr 2000 auf 4,2 Millionen in diesem Jahr verdoppeln wird. Damit nicht genug: Das gleiche Wachstumstempo soll die nächsten Jahre anhalten und China im Jahr 2025 zum größten Fahrzeugmarkt der Welt vor den USA machen. Wer diese Zahlen hört, versteht, warum die Regierung bei der Wahrheit bleiben kann. Die Zahlenmanipulation erledigen heute andere. GEORG BLUME