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Archiv-Artikel

wurst essen mit abspaltung von EUGEN EGNER

Als ich beim Existieren einmal einen ganz besonders schweren Fehler gemacht hatte, fand ich mich plötzlich in zwei Personen aufgespalten, die sich gegenseitig mit „Sie“ anredeten. Geschehen war dies am Kaffeetisch, von dem Ich 1 nun aufstand, um sich unter Menschen zu begeben. Die andere Person, Ich 2, blieb am Tisch sitzen und sagte: „Heute werde ich einkaufen fahren. Ich hab nichts mehr zu beißen.“ – „Schön, tun Sie das“, rief Ich 1 von der Tür aus zurück, „guten Einkauf!“ Das war sein Schlusswort, nichts sollte ihn mehr aufhalten.

Schon war Ich 1 im Begriff, aus der Tür zu treten. „Ich fahr nach … – äh, äh … nach … in den Ort“, ging es vom Tisch her weiter. Die vom Sprecher unternommene stimmliche Anstrengung trug der nunmehr eingetretenen räumlichen Entfernung zwischen beiden keinerlei Rechnung. Dies erweckte nicht bloß den Anschein vorsätzlichen Ignorierens, sondern geradezu den einer demonstrativen Missbilligung des Abschieds von Ich 1. Ich 2 zwang ihn zugunsten eines akustisch besseren Verstehens zur Umkehr. Augenblicklich kochte Ich 1 innerlich vor Wut, war dummerweise aber nicht konsequent genug, einfach hinauszugehen, sondern blieb gegen seinen Willen stehen. Er ballte die Fäuste, kniff die Augen zu und stöhnte verhalten.

Hinter ihm überließ sich Ich 2 seelenruhig brutaler Rücksichtslosigkeit: „Da fährt ja ein Auto hin, alle halbe Stunde, immer acht und … – äh … äh … acht und achtunddreißig. Die Haltestelle ist gleich hier in der Nähe, fünf Minuten zu Fuß, nein, höchstens zehn. Ich geh immer etwas früher. Die Straße lang, runter, links, dann rüber. Man muss rechtzeitig da sein, weil sonst das Auto … – äh … das ist dann weg. Mit dem Auto fahr ich bis zum Kaufmarkt, aber nicht direkt bis vors Haus! Ich könnte auch eine Haltestelle weiter fahren, aber dann muss ich ein ganzes Stück zurück. Ich steig immer vorher aus, dann muss ich noch ein Stück gehen. Da haben sie die Wurst, die ich gern esse. Und das ist was ganz anderes! Wenn ich woanders hingeh, zu … wie heißt das noch … – zu … zu … äh … da gibt es nur abgepackte Wurst. Ja, wer soll das denn alles essen? Für mich allein ist das doch viel zu viel! Dann kriegen das die Vögel, die liegen den ganzen Tag auf der Lauer und sind immer ganz glücklich darüber. Beim Dings, beim … bei … äh … Wo ich immer einkauf, da kann ich sagen, so und so viel möchte ich von der und der Wurst haben, dann schneiden die Verkäuferinnen das auch so für mich und ich kann das mitnehmen und zu Hause aufessen. Die sind ja immer gottfroh, wenn sie mich sehen, die Verkäuferinnen. ‚Guten Tag, Herr Egner‘, sagen die dann, ‚das ist aber schön, dass Sie mal wieder hier sind.‘ Am liebsten esse ich ja die, wie heißt die, die … – äh … äh … Jetzt komm ich nicht auf den Namen. Ungefähr so ein Stück, nein, so, nehm ich davon immer. Im Kühlschrank hält das eine Woche lang. Heute Abend können Sie auch was davon haben!“

Heute Abend? Auch noch Wurst essen mit dieser defekten Abspaltung? Eine empörende Vorstellung! Ich 1 hoffte stark, bis zum Abend werde der Spuk vorbei und von Ich 2 keine Spur mehr übrig sein. Jedoch würde sich diese Hoffnung auch wirklich erfüllen? War sie überhaupt in irgendeiner Form realistisch?