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wortwechselFlotte Greta: Nur eine „Bringt-ja-nix-Aktion“?

Die israelische Marine hat das Boot der Freedom Flotilla Coalition am 9. Juni „einfach“ in internationalen Gewässern gekapert. Die AktivistInnen sollen am 10. Juni Israel verlassen

Außerhalb des Staatsgebietes: Ein Marineschiff Israels zwingt das Boot der Freedom Flotilla mit Hilfsgütern für Gaza auf Kurs nach Ashdod, Israel Foto: Abir Sultan/epa

„Greta Thunbergs Soli-Aktion mit Gaza: Schräger Segeltörn“, taz vom 5. 6. 25

Verantwortungslos?

Gratulation, ich habe jetzt einen Account im taz Forum – und eine Riesenwut im Bauch! Sie schreiben: „Das gezielte Aushungern der palästinensischen Bevölkerung, ihre Vertreibung und das Blutvergießen müssen ein Ende haben. Eine Haltung, die im Übrigen auch sehr viele Israe­lis teilen. Mehr als die Hälfte der israelischen Bevölkerung fordert das sofortige Kriegsende und die Befreiung der Geiseln, die noch immer von palästinensischen Islamisten festgehalten werden.“ Noch nie ging es bei diesen Demos um die Palästinenser! Die liberale israelische Zeitung Haaretz schreibt: 82 Prozent der jüdischen Israelis befürworten eine Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen. 56 Prozent befürworten deren Vertreibung aus Israel. 47 Prozent befürworten bei Eroberung einer „feindlichen Stadt“ die Tötung der gesamten Bevölkerung durch das Militär. Joe Schmoe, taz.de

„Naiv, verantwortungslos und wahnsinnig“, mit diesen Worten beschreibt der Kommentar den Versuch einer Gruppe um Greta Thunberg, auf die israelische Seeblockade von Gaza aufmerksam zu machen, da die Israelische Marine Thunbergs Boot natürlich stoppen wird. Der Kommentar kritisiert die Gefährlichkeit der Aktion und dass diese Aktion ein rein symbolischer Akt bleiben wird. Bekanntlich reduziert die Popularität von Prominenten die Gefahr ihrer Aktionen, so dass davon auszugehen ist, dass Greta Thunberg und ihren Mitstreitern wenig passieren wird. Kein Vergleich zu manchen Aktionen von Greenpeace & Co. Und sind nicht die meisten, ja fast alle politischen Aktionen rein symbolisch? Der Kommentar kritisiert die „medienwirksame Selbstinszenierung“ von Thunberg. Aber ist es nicht immer genau die Aufgabe von Prominenten, einer politischen Aktion zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen? Angesichts meiner schwer auszuhaltenden Machtlosigkeit freue ich mich über jede Aktion, die auf das Leid in Gaza aufmerksam macht. Solange in Gaza gehungert und gestorben wird, sollten wir jede Aktion dagegen wertschätzen, auch wenn sie nicht perfekt erscheinen sollte. Oder selber aktiv werden!

Hans-Ulrich Kobialka, Bonn

Die Verpflichtung Deutschlands zur Sicherheit Israels rechtfertigt nicht den Völkermord an Zigtausenden Zivilisten in Gaza. Thunbergs Aktion ist mutig und kann auf keinem Fall als „naiv, verantwortungslos und wahnsinnig“ bezeichnet werden. Die ganze Welt schaut zu, wie die Menschen, sowohl Palästinenser als auch israelische Soldaten, einander in Gaza umbringen. Der taz-Kommentar beschreibt das Vorgehen von Thunberg als seltsam. Das ist es höchstens dann, wenn man in klassischer Täter-Opfer-Umkehr die Gefahr für die unbewaffnete Besatzung dem potentiellen Opfer anlastet.

Eila Nokelainen, Stutensee

Zum Konzept des zivilen Ungehorsams gehört es, sich bewusst dem Risiko ungerechter Gewalt auszusetzen. Auch die ikonischen Bilder der jungen Frau von Black Lives Matter, die sich dem Strahl der Waffenwerfer und der martialischen Polizeiphalanx wehrlos entgegenstellte, oder des Mannes, der sich dem Einmarsch sowjetischer Panzer in Prag mit seinem Körper in den Weg stellte, sind wirkmächtig. Ein unbewaffnetes Segelboot, das Lebensmittel in eine von Israel vorsätzlich ausgehungerte Bevölkerung nach Gaza bringt und das von der israelischen Marine gewaltsam und völkerrechtswidrig gestoppt wird, gehört in diese Kategorie. Es kommt nicht nur darauf an, dass man Erfolg hat – es kommt darauf an, dass man das Richtige tut … wenn wir nicht unsere Menschlichkeit verlieren wollen.

Dieter Lehmkuhl, Berlin

„Hört auf!“

Ich war bisher immer ein großer Anhänger eurer Berichterstattung. Ihr nehmt mir aber aktuell die letzte Hoffnung in der deutschen Berichterstattung. Die aktuelle Berichterstattung über Greta Thunberg zeigt erneut, wie einseitig deutsche Medien häufig über den Nahostkonflikt berichten. Thunberg hat mehrfach den Terrorangriff vom 7. Oktober verurteilt! Aber wo bleibt die Berichterstattung über die vielen palästinensischen Häftlinge in israelischen Gefängnissen – darunter hunderte Kinder, die bereits vor dem 7. Oktober festgenommen wurden? Warum wird Thunbergs Zivilcourage verspottet, anstatt sich kritisch mit der Informationsblockade in Israel oder Palästina auseinanderzusetzen? Der Holocaust war ein Menschheitsverbrechen, und das Gedenken daran ist unverzichtbar. Aber daraus sollte auch die Pflicht entstehen, jede Form von Unterdrückung und Unrecht konsequent zu benennen – überall. Es ist erschreckend, wie oft dieser Grundsatz im aktuellen Journalismus verloren geht. Ohne Grüße, einfach nur wütend.

Eine ehemalige Leserin der taz

Täglich erreichen uns Bilder aus Gaza, jetzt werden Menschen sogar beim Kampf um die wenigen noch verfügbaren Lebensmittel von israelischen Soldaten erschossen. Können wir, kann die Welt gegen diese wahnsinnige Mordmaschine wirklich nichts tun? Es gibt einige wenige Menschen, die mutige, vielleicht auch verzweifelte Aktionen starten, koste es vielleicht auch das eigene Leben. Dabei seinen prominenten Namen zu nutzen, wer will Greta Thunberg das verdenken?

Uli Schleh, Böblingen

BBC berichtete, dass die gerichtsmedizinischen Beweise nach der Tötung von Besatzungsmitgliedern der „Mavi Marmara“ (2010) ergaben, dass die meisten der von der israelischen Armee getöteten AktivistInnen mehrfach, auch in den Rücken oder aus nächster Nähe erschossen wurden. Ich denke nicht, dass Greta Thunberg und ihre Mit­strei­te­r:in­nen es darauf anlegten, von israelischen Soldaten so behandelt zu werden. Diese Denkweise schiebt den Engagierten die Schuld zu, wenn sie umgebracht oder verletzt werden, und scheint es hinzunehmen, dass das eben der Modus Operandi der israelischen Armee ist – als ob diese Art und Weise zu handeln alternativlos wäre. Manuela Kunkel, Stuttgart

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